Bassecourt – Mühleberg 2020 Netzprojekt
In den frühen Morgenstunden werden die Umrisse der historischen Gebäude des Wasserkraftwerks Mühleberg erkennbar. Die ersten Sonnenstrahlen durchbrechen die Dämmerung und zeigen das hundertjährige Kraftwerk und auch das gleich daneben liegende Unterwerk von Swissgrid. In der Ferne tauchen orange Warnlichter auf, begleitet von Motorgeräuschen, die immer lauter werden. Auf der Wehrstrasse, die in Schlangenlinien hinunter zum Unterwerk führt, rollt ein Schwertransport im Schritttempo an. Die Ladung wird von einem Lastfahrzeug gezogen und von zwei weiteren Fahrzeugen gestossen. Die Ladung ist ein Schwergewicht: ein rund 170 Tonnen schwerer Transformatorenpol, rund 11 Meter lang, fast 3.6 Meter breit und 4.5 Meter hoch. Er wird ins Unterwerk in Mühleberg geliefert. Ein Riese aus Stahl mit 26 Achsen kommt da nach Mühleberg: der gesamte Schwertransport hat ein Gewicht von 362 Tonnen und ist fast 75 Meter lang.
Der Pol hat bereits eine lange Reise hinter sich. Mit dem Schiff ging es über den Rhein vom Werk der ABB Power Grids Germany AG in Halle an der Saale (D) bis zum Auhafen Basel. Danach auf der Strasse in zwei Nachtetappen von Basel über Solothurn und Bern bis nach Mühleberg. Einer der erfahrenen Chauffeure lenkt sein Fahrzeug mit geschickten Manövern über die kurvige Strasse. «Die Strasse, die zum Unterwerk hinabführt, ist eine der anspruchsvollsten Etappe dieses Transports. Die letzte Kurve ist relativ eng, aber wir haben die Fahrt bis ins letzte Detail geplant», meint der Chauffeur der Spezialtransportfirma Friderici SA zu den letzten Kilometern vor dem Ziel.
Die Spannungserhöhung zwischen Bassecourt und Mühleberg verzögert sich
Im Dezember 2019 wurde das Kernkraftwerk Mühleberg abgeschaltet. Damit fehlt ein Teil der Schweizer Energieproduktion im Mittelland. Knapp 3 000 Gigawattstunden Strom fallen jährlich weg. Das entspricht 5% der Schweizer Energieproduktion und deckt den Jahresverbrauch von rund 700 000 Haushalten. Diese fehlende Einspeisung muss mittelfristig durch eine höhere Produktion von Schweizer Kraftwerken oder durch den Stromimport aus dem Ausland kompensiert werden. Wie der letzte milde Winter sowie die vergangenen Monate gezeigt haben, ist der Grossraum Bern bei einer normalen Versorgungslage auch nach der Stilllegung des Kernkraftwerks Mühleberg mit genügend Strom versorgt. Für die Gewährleistung der langfristigen Versorgung werden nun die bestehenden Transformatorenkapazitäten im Übertragungsnetz in der Region Bern / Jura erweitert. Denn sonst sind die Stromimporte über das 380-kV-Netz nur in beschränkten Umfang nutzbar. Dies trifft neben Mühleberg auch an anderen Standorten wie beispielsweise in Laufenburg, Beznau und Romanel zu, wo Swissgrid bereits neue Transformatoren installiert und in Betrieb genommen hat. Sie sind wichtige Elemente des «Strategischen Netzes 2025» von Swissgrid.
Am 15. Januar 2018 erfolgte der Spatenstich für den neuen Transformator in Mühleberg. Die Transformierung von 380 auf 220 Kilovolt bringt aber nur dann eine Verbesserung der Versorgungssicherheit, wenn im Unterwerk Leitungen dieser beiden Spannungsebenen aufeinandertreffen und ein Transformator in Betrieb ist. Ohne die Spannungserhöhung der Leitung zwischen Bassecourt und Mühleberg von 220 auf 380 Kilovolt kann in Mühleberg keine Transformierung stattfinden. Doch die Umsetzung hinkt dem Zeitplan hinterher. Zwar hat das Bundesamt für Energie (BFE) am 22. August 2019 den Plangenehmigungsentscheid zur Spannungserhöhung der Leitung Bassecourt – Mühleberg gefällt und die Einsprachen abgewiesen. Doch dieser Entscheid wurde durch einige Gemeinden und Direktbetroffene mittels einer Beschwerde an das Bundesverwaltungsgericht weitergezogen. Das Bundesverwaltungsgericht hat am 15. September 2020 den Plangenehmigungsentscheid zur Spannungserhöhung der Leitung Bassecourt – Mühleberg bestätigt und alle Beschwerden abgewiesen. Dieser Entscheid kann mit einer Beschwerde an das Bundesgericht (BGer) weitergezogen werden. Damit verzögert sich die Verstärkung der bestehenden Leitung voraussichtlich um zwei Jahre.
Der Transformator wird trotzdem bereits jetzt installiert und in Betrieb gesetzt. Denn die Beschaffung und Installation sind verbunden mit langwierigen Prozessen. Die öffentliche Ausschreibung und die Fertigung beim Hersteller nehmen viel Zeit in Anspruch. Wenn die 380-kV-Leitung zwischen Bassecourt und Mühleberg – welche technisch bereits für 380 kV gebaut worden ist – in Betrieb genommen wird, ist der Transformator einsatzbereit.
Abladen mit vereinten Kräften
Inzwischen ist der Schwertransport beim Unterwerk angekommen. Die Sonne ist mittlerweile aufgegangen und spendet den Chauffeuren und ihren Helfern genügend Licht für ihre Arbeit. Das Abladen des Transformatorenpols erfolgt mit vielen helfenden Händen und Augen. Denn das Abladen ist genau wie der Transport eine Millimeterarbeit. Der Transformatorenpol wird angehoben und von mit Hilfe von hydraulischen Hebewerkzeugen auf die Schiene gesetzt. Von hier wird er mithilfe eines Seilzugs in die Trafokammer gezogen, wo er bald zusammengebaut und gemeinsam mit den anderen drei Transformatorenpolen in Betrieb gesetzt werden kann. Das soll bis November passieren, so dass der neue Transformator in Mühleberg Ende 2020 betriebsbereit ist und damit ein weiteres Projekt des «Strategischen Netzes 2025» abgeschlossen ist. Die Chauffeure und Helfer treten die Rückreise an, erschöpft von der anstrengenden Nacht. «Dank der guten Zusammenarbeit halt der Transport wunderbar funktioniert. Wir sind ein eingespieltes Team, so dass jeder weiss, was er zu tun hat», sagt einer der Chauffeure zum Abschied während er ins Führerhäuschen seines Lastfahrzeugs steigt und den Motor startet.