Netz Digitalisierung

«Es braucht ein Stromnetz, das sich flexibel anpasst»

Autorin: Silvia Zuber

Das Energiesystem und damit das Übertragungsnetz sind im Wandel. Der zunehmenden Komplexität begegnet Swissgrid mit der strategischen Modernisierung des Netzes und der Weiterentwicklung zu einem digitalisierten Unternehmen.


Im Interview

Nell Reimann
Nell Reimann

Head of Market bei Swissgrid

Frau Reimann, das Energiesystem ist im Wandel. Was kommt auf die Schweiz zu?

Nell Reimann: Das Ziel ist es, als Land CO2-neutral zu werden. Die dafür notwendige, umfassende Umgestaltung des Energiesystems ist eine Mammutaufgabe. Aufgrund des Aufschwungs von erneuerbaren Energiequellen wie Photovoltaik – und in geringerem Masse Windkraft – sprechen wir von einem Paradigmenwechsel. Die Stromproduktion wird wesentlich dezentraler und volatiler werden. Die Transformation des Energiesystems führt auch zu einer zunehmenden Elektrifizierung in verschiedenen Bereichen und damit zu einem höheren Stromverbrauch. Für den Transport und die Verteilung des Stroms braucht es ein Stromnetz, das sich dem Tempo der Transformation flexibel anpasst. Swissgrid wird als nationale Stromübertragungsgesellschaft somit eine wichtige Akteurin in diesem Wandel sein. Wir werden das Übertragungsnetz weiterhin zum Rückgrat eines grüneren Energiesystems entwickeln.

Ganz Europa arbeitet an der Transformation. Gibt es eine Zusammenarbeit?

Ja, schon seit Langem. Das Schweizer Übertragungsnetz ermöglicht neben dem inländischen Transport auch Energieexporte und -importe. Zwischen den europäischen Ländern herrscht ein reger Stromaustausch. Dadurch wird es erst möglich, Stromengpässe in den Wintermonaten und Kraftwerksausfälle oder Überproduktionen auszugleichen.

Mit der Transformation des Energiesystems wird diese Zusammenarbeit noch wichtiger. Die Stromproduktion mit erneuerbaren Energien erfolgt dezentral und nicht immer genau dann, wenn der Strom benötigt wird. Diese Volatilität verstärkt die Komplexität im System. Nur wenn wir in Europa weiterhin zusammenspannen, kann der Wandel des Energiesystems bewältigt werden.

Funktioniert die Zusammenarbeit gut?

Viele Jahre hat die Kooperation auf Augenhöhe funktioniert. Fakt ist aber, dass die Schweiz mangels Stromabkommen zunehmend aus den europäischen Prozessen, Gremien und Kooperationen ausgeschlossen wird. Das birgt Risiken für die Netzsicherheit und für die Netzstabilität in der Schweiz. Müssten beispielsweise notwendige Stabilisierungsmassnahmen mehrheitlich nur mit hierzulande produzierter Energie realisiert werden, würde die für die Versorgung der Schweizer Bevölkerung verfügbare Strommenge sinken. Ausserdem führen solche Massnahmen zu steigenden Kosten, die auf die Stromkonsumenten überwälzt würden.

Swissgrid wirkt dieser Entwicklung auf technischer Ebene mit privatrechtlichen Verträgen mit einzelnen europäischen Übertragungsnetzbetreibern entgegen. Diese können aber nur eine Zwischenlösung sein, weil sie langfristig keinen adäquaten Ersatz für ein Stromabkommen darstellen.

Die europäische Zusammenarbeit ist für die Schweizer wie auch für die gesamteuropäische Versorgungssicherheit essenziell.

Nell Reimann

 
Wo steht das Schweizer Energiesystem mit der Transformation?

Die Transformation ist in vollem Gange, wir sollten aber einen oder besser zwei Gänge zulegen. Für den Ausbau der Schweizer Stromproduktion mit erneuerbaren Energien wurden die gesetzlichen Grundlagen geschaffen. Es besteht jedoch Aufholbedarf bei der Realisierung von Produktionskapazitäten – insbesondere für die Stromversorgung im Winter – sowie beim Ausbau der Netzinfrastruktur.

Wie sieht es beim Übertragungsnetz aus?

Das Übertragungsnetz beziehungsweise das gesamte Stromnetz ist das Bindeglied zwischen Produktion und Verbrauch und somit von den Veränderungen im Energiesystem stark betroffen. Dem wird in der strategischen Planung für die Weiterentwicklung des Übertragungsnetzes bereits seit Längerem Rechnung getragen. Das Bewilligungs- und Genehmigungsverfahren des Bundes beinhaltet eine sorgfältige Abwägung aller baulichen Massnahmen. Bis eine Übertragungsleitung in Betrieb genommen wird, vergehen zwischen 15 und 30 Jahre. Es besteht daher die Gefahr, dass die Netzinfrastruktur nicht mit den Ambitionen der Energiewende Schritt halten kann.

Gibt es weitere Herausforderungen für Swissgrid?

Für die Antwort muss ich etwas ausholen. Für einen sicheren und stabilen Betrieb des Übertragungsnetzes müssen die Produktion und der Verbrauch von Strom stets im Gleichgewicht sein. Wie bereits erwähnt, produzieren die erneuerbaren Energien wenig planbar und fluktuierend, also wechselhaft, je nachdem, ob der Wind weht oder die Sonne scheint. Diese Schwankungen müssen wir ausgleichen. Sonst gerät die angesprochene Balance aus dem Gleichgewicht.

Kann die Digitalisierung helfen, die Volatilität in den Griff zu bekommen?

Tatsächlich kann die Digitalisierung helfen, die steigende Komplexität im Energiesystem zu bewältigen. Wir arbeiten an Lösungen. Ansätze wie die Crowd-Balancing-Plattform Equigy bieten die Möglichkeit, vereinfacht und skalierbar dezentrale Flexibilitätsressourcen wie Speicher, Elektroautos, Batteriespeicher oder Wärmepumpen ins Elektrizitätssystem zu integrieren. Equigy setzt dafür auf die Blockchain-Technologie.

Equigy ist auch die Basis für ein weiteres Digitalisierungsprojekt. Erneuerbare Energien und Flexibilitätsressourcen bedingen eine noch engere Abstimmung zwischen den Übertragungsnetz- und den Verteilnetzbetreibern. In einem gemeinsamen Pilotprojekt mit dem Energieversorger ewz testen wir, wie untereinander der Ausgleich von Schwankungen im Stromnetz besser koordiniert werden kann.

Gibt es weitere Digitalisierungsprojekte?

Alle Unternehmensbereiche bei Swissgrid arbeiten an Digitalisierungsprojekten. Wir beschäftigen uns beispielsweise intensiv mit der Photovoltaik, denn die produzierte Strommenge aus dieser Energiequelle wird stark zunehmen. Es gibt ein Pilotprojekt, um die Datengrundlage zur Photovoltaik-Einspeisung zu verbessern. Genutzt werden diese Daten zum Beispiel, um die Auswirkung der Photovoltaik-Einspeisung auf Lastflüsse und auf das Balancing besser einzuschätzen.

Ein anderes Digitalisierungsprojekt beschäftigt sich mit der Optimierung und der Automation der Ausserbetriebnahme von Netzelementen. Um für solche Ausserbetriebnahmen das beste Zeitfenster zu evaluieren, werden deren Auswirkungen simuliert. Je nach Ergebnis werden dann die notwendigen Massnahmen geplant.

Es tut sich einiges. Wie wird Swissgrid in zehn Jahren aufgestellt sein?

Die Digitalisierung ist der Katalysator der Energiewende. Wir arbeiten daran, Swissgrid zu einem digitalisierten Unternehmen zu entwickeln. Die Implementierung der technischen Voraussetzungen wie auch der entsprechenden Lösungen nützt uns aber nichts, wenn Swissgrid die relevanten Kompetenzen nicht im Unternehmen vereinen kann. Diese sind nun identifiziert und werden mit Weiterbildungsmassnehmen gefördert. Mit Blick auf die digitale Transformation muss sich ausserdem die Unternehmenskultur weiterentwickeln. Wie in anderen Unternehmen auch braucht es bei Swissgrid ein offenes Mindset, um die durch die Digitalisierung verursachten Veränderungen in die Arbeits- und Denkweise zu integrieren.


Energiestrategie 2050

Die Energiestrategie 2050 sieht den schrittweisen Umbau des Energiesystems vor, um das Ziel der Netto-Null-Emissionen bis 2050 zu erreichen. Gestützt wird die Transformation durch das Energiegesetz, dessen Massnahmen folgende Ziele anstreben:

  • Senkung des Energieverbrauchs pro Person gegenüber dem Stand im Jahr 2000 um 43 Prozent bis 2035
  • Ausbau der erneuerbaren Energien
  • Schrittweiser Ausstieg aus der Kernenergie

Autorin

Silvia Zuber
Silvia Zuber

Project Manager


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