Pathfinder


Die Suche nach dem Heiligen Gral, dem mythischen Kelch, der das Blut Christi enthalten haben soll, inspirierte Ritter der Tafelrunde über Jahrhunderte hinweg. Heute treibt ein ähnliches Streben die Mitarbeitenden von Swissgrid an – wenn auch in einem anderen Bereich: Es ist die Suche nach einem Programm, das die optimale Linienführung eines Leitungstrassees berechnen kann.

Seit mehreren Jahren besteht eine erfolgreiche Zusammenarbeit zwischen Swissgrid und dem Start-up Gilytics, einem Spinoff der ETH Zürich, um gemeinsam diese grosse Herausforderung im Schweizer Energiesektor anzugehen.

Swissgrid ist eine wichtige Akteurin in der Schweizer Energielandschaft und hat die Aufgabe, einen zuverlässigen, effizienten und nachhaltigen Stromtransport im ganzen Land zu gewährleisten. Diese Aufgabe beinhaltet nicht nur die Instandhaltung des bestehenden Netzes, sondern auch dessen Optimierung und Erweiterung durch den Bau neuer Übertragungsleitungen.

Die bergige Topografie und die hohe Bevölkerungsdichte der Schweiz machen den Bau solcher Übertragungsleitungen besonders komplex. Zudem gibt es zahlreiche Einschränkungen: strenge Umweltstandards, Naturschutzgebiete, Entfernung von bewohnten Gebieten, hohe Kosten und Wünsche aus der Bevölkerung.

Angesichts dieser Herausforderungen und der Dringlichkeit der Energiewende hat Gilytics ein innovatives Tool namens Pathfinder entwickelt. Dieser «Pfadfinder» ermöglicht es, schnell die optimalen Korridore und Routen für Übertragungsleitungsprojekte zu identifizieren. Das Tool berücksichtigt eine Vielzahl von Faktoren wie technische Machbarkeit, Kosten, Auswirkungen auf die Wohn- und Raumentwicklung, CO2-Fussabdruck und Umweltbewertungen.

Für die Entwicklung von Pathfinder waren Pioniergeist, ein fester Wille und viel Entschlossenheit erforderlich. Während sich diese technologische Suche ihrem Ende nähert, haben wir zwei ihrer «Ritter» getroffen: Wir haben mit Robert Benz, Grid Program Manager, und Alain Appel, Grid Project Engineer, gesprochen, um mehr über diese vielversprechende Innovation zu erfahren.

Was ist Ihre Aufgabe und die des Teams?

Unser Hauptziel ist es, geografisch optimale Korridore und Trassen für die Höchstspannungsleitungen von Swissgrid zu finden und dabei eine Vielzahl von Faktoren aus den Bereichen Raumplanung, Umwelt, wirtschaftliche Effizienz und Technik zu berücksichtigen. Der zusammen mit Gilytics entwickelte Pathfinder beschleunigt und verbessert diesen Prozess durch einen fortschrittlichen Algorithmus.

Was kann dieses neue Tool?

Der Pathfinder berechnet mögliche Trassen zwischen zwei oder mehreren Unterstationen, visualisiert diese in 2D und 3D und berechnet automatisch die standardisierten Umwelt- und Finanzkosten. Berichte und räumliche Daten können einfach exportiert werden.

Wie funktioniert dieses Tool?

Wir haben eine Sammlung räumlicher Daten erstellt, die Informationen über die Art der Landschaft und ihre Eignung für einen Korridor enthalten. Ein Algorithmus analysiert diese Daten, um die am besten geeigneten Gebiete für einen Korridor oder eine Trasse zu berechnen. Auch wenn dieses Tool nicht im eigentlichen Sinne auf künstlicher Intelligenz basiert, ist die Art und Weise, wie der Pathfinder seine Lösungen findet, faszinierend. Vereinfacht gesagt mischt er eine Vielzahl von Teillösungen, findet daraus die besten Lösungen und mischt diese dann erneut. Dabei orientiert sich das Modell an den Konzepten von Darwins Evolutionstheorie wie z.B. Fitness, Selektion und Evolution, um die passendsten Lösungen zu finden.

Auch wenn dieses Tool nicht im eigentlichen Sinne auf künstlicher Intelligenz basiert, ist die Art und Weise, wie der Pathfinder seine Lösungen findet, faszinierend.

 
Wo liegen die Grenzen bei der Nutzung dieses Tools?

Pathfinder kann die Arbeit von Planungsfachleuten nicht ersetzen. Die strategischen, politischen und ästhetischen Entscheidungen bleiben in menschlicher Verantwortung. Die vorgeschlagenen Lösungen müssen kritisch geprüft werden, da das Modell eine vereinfachte Darstellung der tatsächlichen Bedingungen vor Ort ist.

Glauben Sie, dass dieses Tool Ihre derzeitige Arbeit verbessern wird?

Ja, besonders jetzt, da viele Projekte schnell umgesetzt werden müssen und Kosten sowie ökologische Kriterien schnell berechnet werden müssen. Pathfinder hilft uns enorm dabei, die quantitativen Kriterien zu verarbeiten und liefert eine solide Grundlage für unsere Arbeit, ohne sie zu ersetzen.

Warum haben Sie sich gerade für Gilytics und den Pathfinder entschieden?

Gilytics und Swissgrid arbeiten schon seit längerer Zeit zusammen. 2023 wurde dann eine öffentliche Ausschreibung über die effektive Beschaffung von Pathfinder für die Nutzung in Projekten durchgeführt. Gilytics war der einzige Anbieter. In diesem Zusammenhang finden Sie unseren ersten Artikel über dieses Tool, dessen Prototyp 3D DSS hiess und das an der ETH Zürich entwickelt wurde.

Wurde der Pathfinder bereits konkret eingesetzt?

Ja, wir verwenden das Tool bereits, um Entscheidungen über Korridore und Trassen informierter zu treffen. Vor Kurzem hat der Pathfinder in einem Projekt nicht nur eine auf herkömmliche Weise erarbeitete Lösung bestätigt, sondern auch eine interessante Alternative gefunden, an die wir nicht gedacht hatten.

Gibt es ein konkretes Pilotprojekt, bei dem Pathfinder bereits eingesetzt wurde?

Derzeit nutzen wir Pathfinder für die Suche nach dem idealen Planungskorridor in Bickigen – Mettlen, Flumenthal – Froloo und Bonaduz – Sils. Die Liste der Projekte wächst stetig.

Pathfinder
1/7: In den Pathfinder wurden schichtenweise räumliche Elemente integriert. In diesem Tal könnte in Zukunft eine neue Übertragungsleitung gebaut werden..
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2/7: Berücksichtigt man die Wohnorte, durch die die Leitung nicht führen darf, wird deutlich, dass der verfügbare Raum begrenzt ist.
Pathfinder
3/7: Pathfinder färbt die Bereiche blau, in denen der Widerstand gegen die Errichtung einer Übertragungsleitung geringer ist, und die Bereiche gelb/orange, in denen mehr Widerstand zu erwarten ist.
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4/7: Aus den vorherigen Karten erstellt Pathfinder eine Reihe von möglichen Korridoren, durch die Leitungen führen könnten.
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5/7: Hier sieht man schliesslich drei Varianten des Verlaufs und stellt fest, dass die orangefarbene Leitung, die am höchsten und am Berghang liegt, möglicherweise in eine Erdrutschzone liegen könnte. Sie wird erneut überprüft und wird vermutlich aus dem weiteren Verlauf ausgeschlossen.
Pathfinder
6/7: Nachdem noch zwei Varianten übrig sind, berechnet Pathfinder nun die jeweiligen Kosten, und bietet uns so ein weiteres Kriterium für die Auswahl des besten Trassees.
Pathfinder
7/7: So könnte die Trasse der Übertragungsleitung aussehen; in diesem Beispiel befindet sie sich zwischen Chamoson und Chippis.

Haben Sie Ihren Heiligen Gral also gefunden?

Die Bezeichnung «Holy Grail» bringt zum Ausdruck, wie schwierig es anfangs erschien, mehrere Technologien (also Freileitungen und Kabeltechnologien) im Algorithmus abzubilden sowie für alle Technologien Kosten und Ökobilanzen direkt ausweisen zu können. Wie die Ritter der Kokosnuss in der Komödie von Monty Python sind wir unserem Ziel schon sehr nahe. Wir erzielen bereits jetzt Ergebnisse, die durch ihre Präzision und Plausibilität überzeugen – und allfällige Stolpersteine und Hindernisse können wir auch einmal mit einer Portion Humor hinnehmen und dann ausmerzen.

Wie sehen die nächsten Schritte aus?

Ende April 2024 waren alle von Swissgrid gewünschten Funktionen implementiert. Ab August ist die Software in den Projekten voll einsatzfähig. Bis Ende August wird noch die Benutzerfreundlichkeit gesteigert und letzte Funktionen verfeinert.

Diese Zusammenarbeit zwischen Swissgrid und Gilytics zeigt, wie technologische Innovationen dazu beitragen können, die komplexen Herausforderungen der Energieinfrastruktur zu bewältigen und dabei gleichzeitig ökologische und soziale Einschränkungen zu berücksichtigen.

Wir lassen nun unsere tapferen Ritter ihre Suche fortsetzen – und wer weiss, vielleicht werden wir uns ja bald wieder am runden Tisch treffen. Vielleicht können wir dann gemeinsam den berühmten Heiligen Gral bestaunen!



Autor

André Räss
André Räss

Communication Manager


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