Der Gotthard und die Wege der Energie

Gastautor *: Hans Bandi


«Information zur A2: Vor dem Gotthard-Nordportal sieben Kilometer Stau. Die Einfahrt Göschenen ist gesperrt». Das ist eine Meldung, die jede Schweizerin und jeder Schweizer bestens aus dem Radio kennt. Denn für die Ferienzeit in der Schweiz ist nichts so charakteristisch wie der Stau vor dem Gotthardtunnel. Kein Wunder, denn die Gotthardachse ist eine sehr zentrale Verbindung durch die Alpen auf der Nord-Süd-Achse. Die Bedeutsamkeit des Gotthards gilt aber nicht nur für den Strassenverkehr, sondern auch für die Stromübertragung. Die Höchstspannungsleitung Mettlen – Airolo von Swissgrid führt über den Gotthard und ist für den Stromtransport von Norden nach Süden wichtig. Im Winter, wenn Italien viel Strom aus der Schweiz importiert, beträgt die maximale Transportkapazität der Leitung rund 1 GW, das entspricht in etwa der Leistung des Kernkraftwerks Gösgen. Eine weitere Aufgabe, welche die 220-Kilovolt-Leitung übernimmt, ist der Abtransport der Energie der regionalen Wasserkraftwerke. Ihre Dienste tut die Leitung zwischen Mettlen nach Airolo nun bereits seit fast 90 Jahren zuverlässig. Im Jahr 1933 wurde die Leitung mit einer Spannung von 150 Kilovolt in Betrieb genommen und später, Ende der 1950er Jahre auf 220 Kilovolt erhöht. Natürlich wurden zwischenzeitlich auch der ein oder andere Mast, ein Leiterseil oder Isolator ersetzt.

Hans Bandi, Besitzer des Bed&bikes Tremola in Airolo, hat eine ganz besondere Beziehung zu dieser Leitung. Sein Grossvater war am Bau beteiligt und später als eine Art Anlageverantwortlicher für die Leitung zuständig. In den Fotoalben seines Grossvaters hat Bandi Fotografien gefunden, welche die Herkulesaufgabe des Baus in den Dreissiger Jahren des letzten Jahrhunderts eindrucksvoll dokumentiert.


Hans Bandis Grossvater Hans
Hans Bandis Grossvater Hans

Der Windpark auf dem legendären Gotthardpass schreibt ein neues Kapitel in der Geschichte dieses für die nationale Einheit symbolischen Ortes. Neben diesem bahnbrechenden Projekt verläuft ein anderes, das für die Entwicklung des Landes im vergangenen Jahrhundert entscheidend war: die 1933 in Betrieb genommene Gotthard-Hochspannungsleitung. Diese Leitung sollte ursprünglich die Elektrizitätswerke der Officine Elettriche Ticinesi mit denen von Olten-Aarburg verbinden. Sie wurde rasch zu einer wichtigen Komponente für den Energiehandel auf internationaler Ebene und sicherte der Schweiz eine strategische Rolle beim Energieaustausch im Herzen Europas.

Ein Zeugnis dieses historischen Ereignisses habe ich in den Fotoalben meines Grossvaters Hans Bandi (1908- 1952) entdeckt: Er war zunächst als Höhenarbeiter beim Bau der Masten im Einsatz und später als Aufseher für die Gotthardleitung tätig. Die Bilder zeigen Masten, Bauphasen und Materialtransport sowie die Arbeiter in ihren Unterkünften, bei Pausen oder in Pose. Es sind dokumentarische Aufnahmen, welche die Arbeitsbedingungen dieser Männer zeigen, die sich in grossen Höhen bewegen konnten und ohne die diese Leitung nicht realisierbar gewesen wäre. Auf der Rückseite der einzelnen Fotos finden sich einfache Anmerkungen wie: Datum, Ort, Mastnummer oder Namen von Kollegen.

1/9: Die beste Aussicht bei der Arbeit
2/9: Arbeiten in schwindelerregender Höhe
3/9: Lastwagen mit Mastteilen
4/9: Arbeiter baut Mastteile zusammen
5/9: Arbeiter auf dem Weg zum Bauplatz
6/9: Lastenaufzüge bringen das Baumaterial an den Bauplatz
7/9: Einzug des Leiterseils
8/9: Kurze Pause für die Bauarbeiter
9/9: Esel transportieren die Bauteile hoch

Die 56 Kilometer lange Stromleitung zwischen Lavorgo und Amsteg wurde von Juni bis Dezember 1932 innerhalb von fünf Monaten errichtet. Insgesamt wurden 168 Masten gebaut, viele davon an unzugänglichen Stellen. Aufgrund der schwierigen Transportbedingungen durften die Mastenteile höchstens 300 Kilo wiegen und acht Meter lang sein. Der Transport erfolgte mit Eseln und an besonders schwer erreichbaren Stellen wurden Lastaufzüge und Seilbahnen errichtet. Ausserdem wurden neue Strassen gebaut oder alte Saumpfade ausgebaut, um die Zufahrt für Lastwagen zu ermöglichen.


Literaturverzeichnis

  • Aare Tessin AG für Elektrizität, Jubiläumsband zum 50-jährigen Bestehen des Unernehmens, 1946
  • Olten/Bodio 20 Jahre Atel 1936-1956, 1956
  • Die Hochspannungsleitung über den Gotthard, Neue Zürcher Zeitung, 4. Oktober 1933

Gastautor *

Hans Bandi
Hans Bandi

Geschichtenerzähler der Tremola und des Gotthards und Initiator des Projekts Bed&bike / Osteria / Experience Tremola San Gottardo in Airolo.

* Der Dialog ist für Swissgrid von zentraler Bedeutung. Denn der gegenseitige Austausch hilft, Verständnis aufzubauen und den Wissensstand zu erweitern. Deshalb publizieren wir auf dem Swissgrid Blog auch Artikel von Gastautorinnen und Gastautoren zu relevanten Themen. Die darin vertretene Meinung ist die der Autoren und nicht die von Swissgrid.

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