Im europäischen Verbundnetz ist am frühen Nachmittag des 8. Januar 2021 die Netzfrequenz aufgrund einer Netzaufteilung kurzfristig auf 49,745 Hertz eingebrochen. Eine Auslösung einer 400-kV-Sammelschiene im Unterwerk Ernestinovo in Kroatien gilt als Ursache, welcher eine Kaskade von Auslösungen weiterer Leitungen in Kroatien, Ungarn, Bosnien-Herzegovina und Serbien zur Folge hatte und so zur Netzteilung in Südosteuropa führte. Die europäischen Übertragungsnetzbetreiber haben in enger Zusammenarbeit das Netz stabilisiert und nach einer Stunde wieder synchronisiert. Die ENTSO-E hat am 26. Februar einen Zwischenbericht publiziert, der den Systemzustand während des Ereignisses und den Prozess der Synchronisierung aufzeigt. Welche Rolle Swissgrid bei diesem Ereignis spielte, erklärt Markus Imhof, Head of Balancing & Scheduling im Interview.
Die Medien schreiben von einem fast Blackout. Wie ernst war die Lage am 8. Januar 2021 wirklich?
Grundsätzlich lässt sich sagen, dass das Schweizer Übertragungsnetz zu den stabilsten und sichersten der Welt gehört. Die enge Vermaschung mit dem europäischen Netz – die Schweiz hat 41 grenzüberschreitende Leitungen – trägt auch zu dieser Stabilität bei: je enger ein Netz verknüpft ist, desto geringer sind die Auswirkungen auf dessen Stabilität, sollte mal ein Knoten reissen. Solche Vorfälle sind sehr selten. Wenn es aber zur Grossstörung kommt, sind auch alle davon betroffen, und die Schweiz kann man nicht losgelöst vom gesamteuropäischen Übertragungsnetz betrachten. Entsprechend eng arbeitet Swissgrid mit den europäischen Übertragungsnetzbetreibern zusammen. Der Umgang mit Störfällen wird gemeinsam trainiert und es liegen entsprechende Prozeduren zur Wiederherstellung der Netzfrequenz von 50 Hertz vor.
Am 8. Januar 2021 haben die Systeme und Prozesse korrekt funktioniert und somit weitere Auswirkungen der Störung unterbunden. Die automatische Reaktion und die koordinierten Massnahmen der Übertragungsnetzbetreiber haben den Normalbetrieb sehr schnell wiederherstellen können.
Swissgrid übernimmt im europäischen Verbundnetz als Coordination Center South eine wichtige Rolle.
Wie hat Swissgrid auf die Situation reagiert?
Das schweizerische Höchstspannungsnetz ist sehr eng mit dem europäischen Übertragungsnetz verbunden. Insofern hat Swissgrid die Frequenzabweichung ebenfalls festgestellt.
Swissgrid hat in der Rolle als Coordination Center South, zusammen mit Amprion in der Rolle als Coordination Center North, per Telefonkonferenz sofort die notwendige Koordination zur Wiederherstellung des Normalbetriebs initiiert und eng mit den anderen europäischen Übertragungsnetzbetreibern an der Stabilisierung des Netzes zusammengearbeitet.
Was bedeutet das konkret?
Swissgrid übernimmt im europäischen Verbundnetz als Coordination Center South eine wichtige Rolle. Sie überwacht die Frequenz des europäischen Höchstspannungsnetzes zusammen mit Amprion, welche das Coordination Center North bilden. Swissgrid und Amprion sind die Hüter der Netzzeit. In den geraden Monaten ist Swissgrid und in den ungeraden Monaten Amprion dafür verantwortlich. Die Netzzeit ist ein wichtiger Indikator, ob zu viel oder zu wenig Energie im Verbundnetz ist, sprich, ob das Gleichgewicht zwischen Produktion und Verbrauch eingehalten wird. Bei Abweichungen der Netzzeit startet das verantwortliche Coordination Center vordefinierte Prozeduren, um den Fehler zu finden und das Netz wieder in einen sicheren Zustand zu führen oder verändert die Soll-Frequenz, damit die Kraftwerke schneller oder langsamer drehen, damit die Netzfrequenz wieder mit der richtigen Zeit übereinstimmt. Die letzte grosse Abweichung der Netzzeit war im Januar 2018, als die Backofenuhren über 6 Minuten zu langsam liefen.
In einem Störungsfall wie am 8. Januar ist Swissgrid für die Einleitung, Koordination und die Überwachung der vorbereiteten Verfahren mit den südlichen Partnern wie beispielsweise Frankreich, Spanien, Portugal, Italien aber auch den Balkanstaaten bis hin zur Türkei verantwortlich.
Welche Mittel stehen den Übertragungsnetzbetreibern zur Verfügung, um die Netzstabilität des europäischen Übertragungsnetzes zu sichern?
Swissgrid und die anderen europäischen Übertragungsnetzbetreiber halten zur Stabilisierung der Netzfrequenz auch permanent Energie vor, sogenannte Regelleistung, mit der unvorhergesehene Schwankungen in der Produktion, beispielsweise beim Ausfall eines grossen Kraftwerks, oder im Verbrauch ausgeglichen werden können. Im gesamten europäischen Netz sind automatische Sicherheiten zur Stabilisierung der Netzfrequenz eingebaut. Wenn definierte Grenzen der Netzfrequenz unterschritten werden, werden im Voraus definierte Lasten rollierend automatisch vom Netz getrennt, bis zwischen Produktion und Verbrauch wieder ein Ausgleich hergestellt ist.
Die Übertragungsnetzbetreiber sind auf Störfälle im Netz vorbereitet. Für das europäische Verbundnetz gibt es vorbereitete und eingespielte Verfahren, um Auswirkungen von Systemstörungen zu minimieren und insbesondere grosse Frequenzabweichungen zu vermeiden und auszugleichen. Es bestehen eingespielte Prozeduren zur Stabilisierung.
Die stark vernetzte Schweiz hängt von den Gegebenheiten in den Nachbarstaaten ab. Ohne Stromabkommen mit der EU sind die Importfähigkeit aus der EU und die Exportwilligkeit der EU gefährdet.
Die internationale Zusammenarbeit spielt für die Netzstabilität eine wichtige Rolle. Warum ist das so?
Das Schweizer Übertragungsnetz ist an 41 Stellen mit dem Ausland verbunden. Damit ist es integraler Teil des kontinentaleuropäischen Verbundnetzes. Durch den Austausch von Energie können Stromengpässe in einzelnen Ländern überwunden und Überlastungen vermieden werden. Kraftwerksausfälle oder Überproduktionen können dank dieser internationalen Kooperation kompensiert werden.
Die Stark vernetzte Schweiz hängt von den Gegebenheiten in den Nachbarstaaten ab. Ohne Stromabkommen mit der EU sind die Importfähigkeit aus der EU und die Exportwilligkeit der EU gefährdet. Dank der engen Zusammenarbeit mit den europäischen Partnern kann die Schweiz bisher Kraftwerksausfälle oder Überproduktion kompensieren. Doch die Umsetzung des dritten EU-Richtlinienpakets und des Clean Energy Package führt voraussichtlich zu einer Zunahme von ungeplanten Flüssen und zu einer Verringerung der Importfähigkeit der Schweiz, was sich negativ auf die Systemsicherheit der Schweiz und Europa auswirkt. Es kann erwartet werden, dass die Intensität der Herausforderungen bis 2025 stark zunehmen wird.