Die Schweiz nimmt punkto Versorgungsqualität im gesamteuropäischen Vergleich einen Spitzenplatz ein. Die durchschnittliche Unterbrechungsdauer pro versorgte Endverbraucherin und Endverbraucher im Jahr 2019 betrug 19 Minuten. Nur 0,2 Prozent davon sind auf das Übertragungsnetz zurückzuführen. Das Schweizer Übertragungsnetz zählt so zu den sichersten und stabilsten der Welt.
Das Übertragungsnetz ist eine kritische Infrastruktur. Als Betreiberin dieser Infrastruktur hat Swissgrid verschiedene Resilienzfaktoren eingebaut, die massgeblich mit zur hohen Versorgungssicherheit beitragen. Das bedeutet konkret, dass der Betrieb des Übertragungsnetzes trotz allfälliger Schocks ohne Beeinträchtigung weitergeführt werden kann. Zum einen gilt es, Schäden zu vermeiden und zum anderen, trotz Schäden den Betrieb aufrecht zu erhalten und wieder in einen nachhaltigen Zustand zu überführen.
In einer dreiteiligen Blogserie erläutern wir, wie Swissgrid in den Bereichen Anlagen und Betrieb, Versorgung sowie beim Faktor Mensch Resilienz im Übertragungsnetz schafft. Im zweiten Teil dieser Serie widmen wir uns dem Bereich Versorgung.
Das Schweizer Übertragungsnetz zählt so zu den sichersten und stabilsten der Welt.
Swissgrid hat eine wichtige Rolle
Die sichere Versorgung mit elektrischer Energie bedarf nicht nur einer zuverlässigen Netzinfrastruktur, sondern auch einer genügend hohen Produktion. Das beste Übertragungsnetz ist nutzlos, wenn die Stromproduktion die Nachfrage nicht zu decken vermag. Solche Situationen sind zwar sehr selten, aber durch eine Verkettung mehrerer unglücklicher Umstände durchaus möglich. Eine angespannte Energie- und Netzsituation zeichnete sich beispielsweise im Winter 2015/2016 ab. Die Energiereserven in der Schweiz waren zu jenem Zeitpunkt aufgrund einer Verkettung besonderer Umstände knapp. Der trockene Sommer und Herbst bedingte, dass die Flüsse deutlich weniger Wasser als im langjährigen Mittel führten. Das verringerte die Stromproduktion aus Laufwasserkraft. Die Speicherseen wiesen zudem im Vergleich zum langjährigen Mittel einen unterdurchschnittlichen Füllstand auf. Ausserdem waren die Kernkraftwerke Beznau 1 und 2 beide ausser Betrieb.
Die fehlende Bandenergie aus Laufwasser- und Kernkraft musste durch anderweitige Produktion, insbesondere aus Speicherkraftwerken, sowie durch Importe kompensiert werden. Weil die Kapazität für die Transformierung von 380 kV auf 220 kV limitiert ist, waren Importe nur in beschränktem Umfang zur Kompensation der fehlenden Bandenergie nutzbar.
Obwohl Swissgrid nicht für die Energieversorgung der Schweiz zuständig ist, spielt sie als Betreiberin des Übertragungsnetzes bei der Behebung solcher Probleme eine wichtige Rolle, indem ihr Bedarf an Energie für Systemdienstleistungen sowie die Verfügbarkeit von Importkapazität als dimensionierender Parameter für die Planung der Elektrizitätsversorgungsunternehmen eingesetzt wird. Mit dem Stromversorgungsgesetz erteilte der Gesetzgeber der Eidgenössischen Elektrizitätskommission Elcom die Aufgabe, die Elektrizitätsmärkte hinsichtlich einer sicheren und erschwinglichen Versorgung in allen Landesteilen zu beobachten und überwachen. Zeichnet sich mittel- oder langfristig eine erhebliche Gefährdung der inländischen Versorgungssicherheit ab, ist es ihre Aufgabe, dem Bundesrat entsprechende Massnahmen zur Aufrechterhaltung einer sicheren Stromversorgung vorzuschlagen.
Resilienzfaktoren Importfähigkeit und europäisches Verbundnetz
Während die Schweiz im Sommer normalerweise Strom exportiert, ist sie im Winter tendenziell auf Importe angewiesen. Nach der angespannten Situation im Winter 2015/2016 hat Swissgrid schnell reagiert und die Transformationskapazität erhöht. In den letzten Jahren wurden entsprechend 380-/220-kV-Transformatoren beschafft und teils bereits installiert.
Das Schweizer Übertragungsnetz ist Teil des europäischen Verbundnetzes und mit 41 grenzüberschreitenden Leitungen sehr eng mit dem Ausland verbunden. Diese enge Vermaschung stellt ebenfalls einen zentralen Resilienzfaktor dar. Der Stromaustausch ermöglicht es, Stromengpässe zu überwinden und Überlastungen zu vermeiden. Kraftwerksausfälle oder Überproduktionen können dank dieser internationalen Kooperation kompensiert werden.
Seit 2014 macht die EU ein Rahmenabkommen, dessen Geltungsbereich weit über das Stromabkommen hinausgegangen wäre, zur zwingenden Voraussetzung für den Abschluss eines Stromabkommens. Der Bundesrat hat am 26. Mai 2021 seinen Entscheid kommuniziert, das Institutionelle Abkommen mit der EU nicht zu unterzeichnen. Er will den bilateralen Weg aber dennoch fortsetzen. Damit ist das Stromabkommen bis auf Weiteres auf Eis gelegt.
Ohne Stromabkommen ist die vollständige Integration der Schweiz (Netz und Handel) in den europäischen Binnenmarkt für Strom gefährdet und die Teilnahme sowie das Mitspracherecht bei relevanten europäischen Gremien, z.B. ENTSO-E erschwert. Zudem wirkt sich die mangelnde regulatorische Integration des Schweizer Strommarkts in Europa negativ auf die Netzstabilität der Schweiz aus. Auch die Importfähigkeit aus der EU (und Exportwilligkeit der EU) ist gefährdet.
Swissgrid geht davon aus, dass die Intensität der Herausforderungen für die Netzsicherheit bis 2025 aufgrund der weiteren Optimierung der flussbasierten Marktkopplung in der EU stark zunehmen wird. Swissgrid schöpft heute und auch in Zukunft alle Mittel und Möglichkeiten zur Gewährleistung des stabilen Netzbetriebs aus. Zur Lösung dieser Herausforderungen braucht es die Unterstützung der Politik.
Der Stromaustausch ermöglicht es, Stromengpässe zu überwinden und Überlastungen zu vermeiden.