Netz

Ungeplantes im Stromnetz – ein Risiko für die Schweiz

Was sich jetzt ändern muss

Autorin: Giulia Ferraro


Im Alltag ist Ungeplantes oft eine positive Überraschung. Ein unerwarteter Sonnentag, eine Banknote in einer alten Jacke oder ein Überraschungsbesuch von Freunden. Doch wenn es um das Stromnetz geht, ist Ungeplantes unerwünscht – es kann sogar gefährlich sein. Die Netzkapazität des Schweizer Übertragungsnetzes wird auf jede Viertelstunde genau berechnet. Fliesst plötzlich ungeplanter Strom durch unser Netz, Strom, der in den Berechnungen nicht vorhergesehen war, kann das zu Überlastungen von Netzelemente führen. In solchen Situationen muss Swissgrid eingreifen und wieder ein Gleichgewicht im Netz herstellen. Ungeplantes ist im Stromnetz also immer mit Aufwand und Risiken verbunden.

Seit einigen Jahren warnt Swissgrid gemeinsam mit der Strombranche vor den Risiken ungeplanter Flüsse.

 
Was sind ungeplante Flüsse?

Seit einigen Jahren warnt Swissgrid gemeinsam mit der Strombranche vor den Risiken ungeplanter Flüsse, wie sie unsere Netzstabilität und somit die Versorgungssicherheit der Schweiz gefährden.

Bei einem Stromfluss kann man nicht vorhersehen, welchen Weg der Strom wählt. Denn Strom sucht sich den Weg des geringsten Widerstands. Das heisst, wenn Strom vom Punkt A nach Punkt B muss, wird er nicht zwangsweise auf direktem Weg dorthin fliessen. Im Falle von grenzüberschreitendem Handel fliesst unter Umständen also nur ein gewisser Teil des gehandelten Stroms direkt über die Landesgrenze. Ein anderer Teil kann über das Netz eines benachbarten Landes fliessen. Es entsteht eine Differenz zwischen der Menge des gehandelten Stroms und dem physikalischen Fluss zwischen den beiden handelnden Ländern oder Parteien. Die Differenz zwischen dem Handelsfluss und dem physikalischen Fluss ist der ungeplante Fluss – der Teil, der über das am Handel eigentlich unbeteiligte Land fliesst. Es gibt zwei Sorten ungeplanter Flüsse: Transitflüsse und Ringflüsse.

Die Differenz zwischen dem Handelsfluss und dem physikalischen Fluss ist der ungeplante Fluss – der Teil, der über das am Handel eigentlich unbeteiligte Land fliesst.

 
Der Strom geht gerne reisen…

Von Transitflüssen spricht man, wenn Strom grenzüberschreitend gehandelt wird, sich aber den Weg durch ein drittes Land sucht. Zum Verständnis kann das mit einer Reise verglichen werden: Eine Schulklasse muss von Offenburg (DE) nach Strasbourg (FR). Da der Direktzug voll ist, teilen sich die Schülerinnen und Schüler auf. Diejenigen, die keinen Platz mehr im Direktzug haben, nehmen einen, der über Basel fährt. Die ganze Klasse startet am gleichen Punkt und trifft sich am gleichen Ort – sie sind aber über unterschiedliche Wege angereist. Dasselbe passiert beim Transitfluss. Der Strom wird in einem Kraftwerk produziert und ist durch ein Handelsgeschäft für den Verbrauch an einem anderen Standort vorgesehen. Es wird aber nicht der gesamte Stromfluss über den gleichen Weg ans Ziel fliessen. Ein Teil sucht sich den Weg über ein anderes Land. Dieses Land ist am Handel nicht beteiligt.

…oder er dreht sich im Kreis

Bei einem Ringfluss handelt ein Land innerhalb seiner Grenzen Strom. Dabei wird aber die Leitung eines Nachbarlandes beansprucht. Der Strom wird also in Land A gehandelt, fliesst aber durch Land B wieder in Land A zurück. Wenn wir das wieder mit einer Zugfahrt vergleichen, wäre es eine Reise vom Tessin ins Wallis. Man wird in Italien umsteigen und von dort ins Wallis fahren müssen. Das ist die schnellste Verbindung – der Weg, des geringsten Widerstandes.

Swissgrid setzt alles daran, die ungeplanten Flüsse zu minimieren. Ein Stromabkommen zwischen der Schweiz und der EU wäre dafür eine nachhaltige Lösung.

 
Fehlendes Abkommen führt zu bösen Überraschungen

Doch wieso kommt es vermehrt zu ungeplanten Flüssen im Stromnetz? Ein Grund dafür ist das fehlende Stromabkommen zwischen der Schweiz und der EU. Ein solches ist jedoch für die Versorgungssicherheit der Schweiz essenziell. Das Schweizer Stromnetz ist mit 41 Grenzleitungen stark ins kontinentaleuropäische Netz integriert. Der Austausch mit den europäischen Übertragungsnetzbetreibern gehört zu den täglichen Aufgaben von Swissgrid. Aufgrund des fehlenden Stromabkommens wird die Schweiz jedoch vermehrt von wichtigen Plattformen ausgeschlossen. Weiter wird sie bei den Berechnungen der Netzkapazität nicht adäquat miteinbezogen. Das führt dazu, dass Swissgrid die Belastung des Stromnetzes nicht präzis vorhersehen kann und die Swissgrid Operateurinnen und Operateure Strom für die Stabilisierung des Netzes einsetzen müssen. Das ist mit Aufwand und Kosten verbunden und zunehmend stellen sich Fragen der Verfügbarkeit dieser sogenannten «Remedial Actions», da sie in der Schweiz im Wesentlichen aus Wasserkraft bedient werden.

Eine weitere Herausforderung stellt die 70%-Regel dar. Vor drei Jahren trat für die EU-Staaten das Gesetz des Minimum Remaining Available Margin in Kraft. Dieses verordnet, dass alle EU-Übertragungsnetzbetreiber mindestens 70% ihrer Übertragungskapazität für den grenzüberschreitenden Handel reservieren müssen. Jedoch sind in diesem grenzüberschreitenden Handel nur EU-Staaten miteinbegriffen. Mangels Abkommen mit der EU zählt die Schweiz somit nicht dazu.

Der Blick in die Zukunft

Ungeplantes ist im Stromnetz unerwünscht, es ist immer mit Risiken und Aufwand verbunden. Ungeplante Flüsse werden vermehrt zu Überlastungen der Netzelemente führen. Swissgrid muss in diesem Fall eingreifen und das Problem beheben. Das bedeutet eine höhere Gefährdung der Netzstabilität und somit der Versorgungssicherheit der Schweiz sowie letztendlich höhere Kosten für die Schweizer Stromkonsumentinnen und -konsumenten. Swissgrid setzt alles daran, die ungeplanten Flüsse zu minimieren. Ein Stromabkommen zwischen der Schweiz und der EU wäre dafür eine nachhaltige Lösung.



Autorin

Giulia Ferraro

Werkstudentin


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