Die Beziehung Schweiz – EU stellt alle Schweizer Strommarktakteure vor Herausforderungen. Im Sommer 2023 hat der Bundesrat Eckwerte für ein Verhandlungsmandat mit der EU beschlossen und damit Bewegung in diese Beziehung gebracht. Nun steht der Beschluss des Verhandlungsmandats kurz bevor. Im Gespräch erläutert Marc Ritter, CEO der AEW Energie AG, welche Bedeutung diese Entwicklung sowie ein allfälliges Stromabkommen mit der EU für ein Energieversorgungsunternehmen der Schweiz haben.


Marc Ritter, die AEW Energie AG ist ein integrierter Energiedienstleister des Kantons Aargau. Welche Rolle spielt die Beziehung Schweiz – EU für ein derartiges Unternehmen?

Wir als AEW sind indirekt von der Beziehung zwischen der Schweiz und der EU betroffen, nicht zuletzt als Marktteilnehmerin für Stromein- und -verkauf. Eine stabile Beziehung zur EU sorgt unter anderem für eine sichere Energie- bzw. Stromversorgung und verhilft uns zu einem transparenten und liquiden Strommarkt. Dies wiederum führt dazu, dass wir bei der Verwertung und Beschaffung von Strom bessere Möglichkeiten haben.

Zudem sehen wir als Miteigentümerin der Axpo Holding den Wert der Schweizer Pumpspeicherkraftwerke für Europa. Zurzeit ist der Zugang zum Europäischen Strombinnenmarkt für Schweizer Kraftwerke eingeschränkt. Dabei hätten insbesondere die Pumpspeicherkraftwerke ein grosses Potenzial, Produktionsschwankungen erneuerbarer Energien in unseren Nachbarländern kurz- und mittelfristig auszugleichen.

Welchen Einfluss hat das fehlende Stromabkommen auf die AEW Energie AG?

Die Schweiz kann unter anderem nicht an den gekoppelten Strommärkten der EU teilnehmen und ist damit nicht Teil der Kapazitätsberechnungsregionen. Somit bleibt die Schweiz bei der Berechnung der für diese Strommärkte zur Verfügung gestellten Grenzkapazitäten unberücksichtigt. Dies hat eine Zunahme an ungeplanten Flüssen durch die Schweiz zur Folge, mit negativen Auswirkungen auf die Netzsicherheit.

Die Liquidität des Stromhandels wird zunehmend eingeschränkt, die damit verbundenen unterschiedlichen länderspezifischen Preisniveaus werden sich akzentuieren. Dies bedeutet, dass wir bei der Preisgestaltung von verschiedenen Möglichkeiten ausgeschlossen bzw. benachteiligt werden und nur noch eingeschränkt Energie kaufen und verkaufen können. Es ist davon auszugehen, dass die Strompreise, vor allem für die Ausgleichsenergie, längerfristig teurer werden. Technisch und kommerziell sollten wir deshalb in den europäischen Strommarkt eingebunden werden.

Marc Ritter, CEO AEW Energie AG
Marc Ritter, CEO AEW Energie AG

Ist die AEW Energie AG im Winter auf Stromimporte angewiesen?

Obwohl wir als AEW einen hohen Eigenproduktionsanteil haben, sind wir als Teil des Schweizer Energiesystems auch auf Stromimporte (Wintermonate) und die Möglichkeit der Verwertung (Sommermonate) angewiesen. Insbesondere mit unseren Kraftwerksbeteiligungen am Rhein haben wir physische Verbindungen (Ableitungen) mit Deutschland und verwerten dort auch die produzierte Kilowattsunde aus den Laufwasserkraftwerken.

Die vollständige Strommarktliberalisierung gilt bisher als Grundvoraussetzung für die Teilnahme am europäischen Strombinnenmarkt und ist damit voraussichtlich Bedingung für den Abschluss eines Stromabkommens mit der EU. Wie stehen Sie dem Thema gegenüber?

Seit über 20 Jahren ist in allen Ländern rund um die Schweiz der Strommarkt vollständig geöffnet. Die aktuelle Teilmarktliberalisierung mit zwei unterschiedlichen Systemen ist nicht optimal: Kunden mit einem Stromverbrauch von mehr als 100 000 kWh pro Jahr können ihren Stromanbieter frei wählen, diejenigen mit weniger Jahresstromverbrauch, insbesondere Privathaushalte und kleinere Gewerbebetriebe, bisher nicht. Im Sinne unserer Kunden befürworten wir die vollständige Strommarktöffnung, so dass künftig alle unsere Kunden die Wahlfreiheit haben und den Stromanbieter frei wählen können.

Die aktuellen offensichtlichen Verwerfungen in den Tarifen in der Grundversorgung für die Jahre 2023 und 2024 bei den über 600 Energieversorgungsunternehmen (EVU) in der Schweiz führt zu Unverständnis bei den Endkunden. Je nachdem ob ein EVU Eigenproduktion hat oder nicht und welches Kalkulationsregime es für die Tarifgestaltung anwendet, resultieren grosse Unterschiede in der Energiekomponente des Strompreises des grundversorgten Kunden. Eine vollständige Strommarktöffnung führt zwar nicht zwingend zu günstigeren Preisen, aber eine gewisse Harmonisierung des Preisniveaus beim Energieteil sollte es unterstützen. Zudem hat der Endkunde dann die Eigenverantwortung für den Vertragsabschluss und kann sich für den Lieferanten seiner Wahl bewusst entscheiden.

Eine stabile Beziehung zur EU sorgt unter anderem für eine sichere Energie- bzw. Stromversorgung und verhilft uns zu einem transparenten und liquiden Strommarkt.

Marc Ritter, CEO der AEW Energie AG

Gibt es weitere Themen, in denen ein Stromabkommen mit der EU für Sie neue Chancen eröffnet?

Wir sehen die Schweiz als integriertes Energiesystem im europäischen Umfeld, und die AEW ist Teil des Schweizer Energiesystems. Eine stabile und harmonisierte Beziehung mit der EU ist daher auch für die AEW im Sinne der Planungssicherheit, Flexibilität und nicht zuletzt auch für die Versorgungssicherheit von zentraler Bedeutung.

Was sind Ihrer Meinung nach die Alternativen, wenn längerfristig kein Stromabkommen mit der EU abgeschlossen wird?

Wir müssen uns bewusst sein, dass wir uns ohne Stromabkommen innerhalb Europas weiter isolieren und wir damit aus verschiedenen Marktbereichen vermehrt ausgeschlossen werden, beispielsweise dem Regelenergiemarkt. Dadurch wird die Versorgungssicherheit instabiler, wir verlieren weiter an Resilienz, zumal wir noch auf lange Zeit hin im Winter auf Stromimporte angewiesen sein werden. Als eine Konsequenz daraus müssen wir mindestens auf technischer Ebene eine bilaterale Zusammenarbeit mit den angrenzenden Ländern anstreben, etwas, was Swissgrid ja bereits seit längerer Zeit verfolgt bzw. verfolgen muss.


Autorin

Jacqueline Kalberer
Jacqueline Kalberer

Communication Manager


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