Auf die Grösse kommt es bei den Robotern von Jamie Paik nicht an. Indem sie kollektiv handeln, spielen die Winzlinge ihre Fähigkeiten optimal aus. Mit ihrer Arbeit möchte die Forscherin begeistern, muss sich aber auch kritischen Fragen stellen.
Bei Ihrer Forschung stehen Kleinstroboter im Fokus. Wie kommen Sie dazu, sich in Ihrer Arbeit von Ameisen inspirieren zu lassen?
Die Natur diente schon vielen Menschen – vom Künstler bis zum Wissenschaftler – als Vorbild. Selbst der kleinste Organismus ist hochgradig optimiert und so programmiert, dass er in seinem Umfeld überleben kann. Das gilt auch für Ameisen, die einzeln über deutlich weniger Kraft und Geschwindigkeit verfügen als ein grosses Tier. Im Kollektiv hingegen erbringen sie unglaubliche Leistungen, sind sehr anpassungsfähig und kreativ. Das passt zum Ziel meiner Forschungsarbeit. Mein Labor entwickelt mesoskalige, also mehrere Zentimeter grosse Origami-Roboter. Sie passen meist in eine Handfläche, sind aber trotzdem sehr funktional und verfügen über eine hohe Rechenleistung. Sie zeichnen sich durch kompaktes Design für Produktions- und Einsatzzwecke aus, was extrem kosteneffiziente, massgeschneiderte Roboterlösungen ermöglicht.
Welche Rolle spielt Ihr Spezialgebiet in der Robotik?
Bisher wurden Maschinen und Roboter meist in Bezug auf Präzision, Kraft und Geschwindigkeit optimiert. Meiner Ansicht nach müssen im Jahr 2021 von Robotern aber auch andere Eigenschaften berücksichtigt und verlangt werden. Wir möchten, dass sie über ihre mechanische Leistung hinaus sicherer und intelligenter werden und vielleicht sogar nahtlos in unseren Alltag integrierbar sind. Dafür müssen sie interaktiver und anpassungsfähiger sein. Der Mensch soll sich wohl fühlen, wenn er mit unseren Robotern zu tun hat.
Ein Teil Ihrer Roboter kooperiert durch Schwarmintelligenz. Was muss man sich darunter vorstellen?
Bei unseren Robotern, den sogenannten Tribots, geht es um verteilte Intelligenz. Die Stärke solcher Roboter liegt nicht in ihrer individuellen Leistung, sondern darin, wie sie in grosser Zahl miteinander kooperieren. Sie können zusammenarbeiten, um ihren Einsatzbereich auf komplexe und komplizierte Aufgaben auszudehnen. Wegen der hohen potenziellen Performance arbeiten zahlreiche Forschungsgruppen an der Schwarmintelligenz von extrem einfachen Robotern. Unsere Gruppe konzentriert sich darauf, schwarmkompatible Roboter zu entwickeln und zu bauen, die auch als einzelne Geräte komplexe Aufgaben erfüllen können. Wir glauben, dass unsere Roboterplattform sogar das bisherige Verständnis von Schwarmrobotern erweitern kann. Eine der ersten Demonstrationen diesbezüglich wurde von unseren Tribots ausgeführt.
Finden Ihre Roboter auch Anwendung in der Energiebranche?
In der nachhaltigen Technologie werden nicht nur die Anwendung und die Produktion von Robotern weiterentwickelt, sondern auch ihre Funktionalität. Origami-Roboter können die Produktions- und Transportkosten deutlich senken, da sie auf einem 2D-Faltmuster basieren und beim Auffalten verschiedene 3D-Formen rekonstruieren können. Sie sind mit den modernsten Sensoren und Prozessoren ausgestattet und werden daher gezielt in Kombination mit den unterschiedlichsten Robotertypen eingesetzt. Robogami-Drohnen können beispielsweise ihre Grösse verändern, um durch schmale Öffnungen zu passen. Ebenso können sie dank ihrer Faltstruktur einfacher gelagert und transportiert werden.
Man kann Origami-Roboter auch für Energy Harvesting einsetzen. In Chile haben wir schwimmende, sich selbst zusammensetzende Origami-Robotermodule auf einem Wasserspeicher verwendet, um Wasser zu sparen. Sie bedeckten die Wasseroberfläche und verhinderten so die Sonneneinstrahlung und in der Folge die Wasserverdunstung. Mit Sonnenkollektoren versehen, haben sie Energie gewonnen, damit sich die schwimmenden Roboterteile antreiben und zur Sonne ausrichten können.
Wie könnten die Roboter Swissgrid von Nutzen sein?
Origami-Roboter stellen einen neuen Ansatz bei der Entwicklung und beim Bau von Robotern dar, die massgeschneidert und flexibel sind. Dieser Ansatz ermöglicht Automation und Technologie in Anwendungsbereichen, die oft als zu wenig skalierbar, zu beliebig oder zu selten gelten. Daher wurde die Entwicklung der entsprechenden Roboter aufgrund der potenziell hohen Kosten pro Einsatz vernachlässigt.
Die breite Palette an Origami- oder Soft-Robotern meiner Forschungsgruppe kommt dank ihres vielfältigen Designs an zahlreichen Orten zum Einsatz, wie beispielsweise in der Medizin, im Weltraum, in der Katastrophenhilfe und in der Unterhaltungsbranche. Die Varianten unterscheiden sich zwar optisch voneinander, besitzen aber dieselben Grundtechnologien, welche die Mensch-Roboter-Interaktionen über ihre intuitive und agile Roboterplattform ermöglichen sollen.
Tribots waren nie als Kontrollroboter gedacht. Eine Veränderung ihrer aktuellen Form durch Einbau zusätzlicher Sensoren oder Sender wäre jedoch denkbar, um sie als Überwachungs- und Inspektionsroboter in ausgedehnten, weit auseinanderliegenden, engen oder unvorhersehbaren Einsatzorten nutzen zu können. Für Inspektionsarbeiten in Röhren können kleine Roboter zum Beispiel mit Rädern ergänzt, für Arbeiten aus der Luft in Drohnenstrukturen integriert werden. Ein weiterer Vorteil: Wegen ihres geringen Gewichts und ihrer flachen Form würden ein paar «verunfallte» oder verlorene Roboter weder den Auftrag gefährden noch das Budget belasten.
Die Funktionalität des Stromnetzes gilt es permanent zu optimieren. Sind Sie irgendwann fertig mit der Entwicklung Ihrer Roboter?
Es liegt in der Natur der Sache, dass ein Roboter bzw. das System nie perfekt ist. Ich kann leider nicht einfach eine Wunschliste abhaken, und das war es dann. Denn manche Dinge schliessen sich aus. Man möchte zum Beispiel, dass der Roboter leicht ist, damit er möglichst wenig Energie verbraucht. Gleichzeitig soll er möglichst robust und anpassungsfähig sein. Das wiederum macht den Roboter schwer. Die eierlegende Wollmilchsau gibt es also nicht. Folglich bin ich ständig auf der Suche nach Kompromissen und versuche die aktuellsten Designkriterien zu optimieren.
Es liegt in der Natur der Sache, dass ein Roboter bzw. das System nie perfekt ist.
Infrastrukturprojekte bei Swissgrid werden langfristig geplant und realisiert. Wie schnell setzen Sie Ihre Ideen um?
In den neun Jahren, in denen ich an der EPFL arbeite, haben wir eine ganze Reihe von Robotern entwickelt, die in der Praxis zum Einsatz kommen. Pauschalisieren kann man die Entwicklungszeit für einen Roboter aber nicht, da sie von verschiedenen Faktoren abhängt. Stütze ich mich zum Beispiel auf eine bestehende Technologie ab oder möchte ich etwas ganz Neues erfinden? Einer der interessantesten Aspekte bei der Entwicklung von Origami-Robotern ist ihre Flexibilität und Modularität. Diese beiden Eigenschaften können die Zeit für Entwicklung und Produktion drastisch reduzieren.
Was sind die Herausforderungen bei langfristigen Projekten?
Es braucht Ausdauer, und man muss die Augen offen halten für das, was um einen herum passiert. Es wäre verschwendete Zeit, das Rad neu zu erfinden, wenn irgendwo auf der Welt eine Kollegin oder ein Kollege bereits eine bessere Lösung gefunden hat. Dabei geht es nicht nur um direkt vergleichbare Projekte. Es kann sein, dass zum Beispiel im Zusammenhang mit neuen Flaschenverschlüssen ein Material entwickelt wurde, das ideal für die Anwendung in einem unserer Projekte ist.
Stossen Sie mit Ihrer Arbeit auf Widerstand oder Kritik?
Wenn ich erzähle, dass ich an Robotern forsche, sind die Reaktionen sehr unterschiedlich. Ich bin der Meinung, dass ich als Forscherin eine Verantwortung habe, genau zu erklären, was ich mache und was meine Ziele sind. Ich möchte die Menschen mit meiner Arbeit inspirieren. Dazu gehört natürlich auch die Frage nach dem Endprodukt, aber auch nach den weiterentwickelten Komponenten.
Bräuchte es Massnahmen, um die Akzeptanz von Robotern zu verbessern oder gar deren Entwicklung zu regulieren?
Ja und nein. Technologie ist da, um Veränderung zu bewirken. Man darf deren Weiterentwicklung nicht kategorisch blockieren. Wer mit den neuesten Technologien arbeitet, muss kaum auf Richtlinien Rücksicht nehmen. Diese entstehen erst, wenn etwas nicht so läuft, wie es sollte. Aufgrund der Geschwindigkeit der technologischen Entwicklungen kommen die Regulatoren mit den notwendigen Anpassungen aber nicht nach. Es liegt daher in der Verantwortung von Entwicklern und Unternehmen, Technologien ethisch korrekt zu entwickeln und dem Konsumenten gegenüber fair einzusetzen. Dann steht der Akzeptanz nichts im Weg. Leider haben Konsumenten derzeit kaum Wahlmöglichkeiten.
Was sind Tribots?
Die Kraft und die Intelligenz einer einzelnen Ameise sind eingeschränkt. Als Kolonie können Ameisen jedoch komplexe Strategien anwenden, um anspruchsvolle Aufgaben zu erfüllen. An der EPFL haben Robotikforscher im Laboratorium von Professorin Jamie Paik dieses Phänomen reproduziert und nur zehn Gramm schwere Roboter entwickelt. Diese weisen auf individueller Ebene minimale physische Intelligenz auf, sind aber in der Lage, zu kommunizieren und kollektiv zu handeln. Gemeinsam können sie schnell Hindernisse erkennen und überwinden und Objekte bewegen, die viel grösser und schwerer sind als sie selbst.