Wenn der Umstieg auf die erneuerbaren Energien gelingen soll, braucht es eine verstärkte Elektrifizierung sowie Vernetzung der Gebäude und Mobilität auf der regionalen und lokalen Ebene. Ein Gespräch mit Dr. Kristina Orehounig, Leiterin der Abteilung für urbane Energiesysteme an der Eidgenössische Materialprüfungs- und Forschungsanstalt (Empa).


Frau Orehounig, vor welchen Herausforderungen steht das Schweizer Energiesystem?

Auf nationaler Ebene ist das sicherlich der Ausbau der erneuerbaren Energieträger, weil die Schweiz da hinterherhinkt. Nicht minder wichtig ist die Steigerung der Energieeffizienz und gleichzeitig auch ein sparsamerer Verbrauch. Klar ist, dass wir auch in Zukunft Energie importieren müssen, wobei sich die Frage stellt, in welcher Form und zu welcher Zeit. Die Vernetzung mit den umliegenden Ländern wird weiterhin eine zentrale Rolle spielen. Der beste Rahmen dafür wäre natürlich ein Energie- oder wenigstens ein Stromabkommen mit der EU. Vor allem wenn Wasserstofftechnologien grössere Verbreitung finden und in Europa eine entsprechende Infrastruktur aufgebaut wird, sollte die Schweiz auch ein Teil davon sein.

Sieht es auf regionaler und lokaler Ebene anders aus?

Wenn der Umstieg auf die erneuerbaren Energien gelingen soll, dann gehören die Elektrifizierung der Gebäude und der Mobilität auf der regionalen und lokalen Ebene zu den wichtigsten Massnahmen. Im weiteren Sinne sprechen wir von Sektorenkopplung, soll heissen, die Verbindung der Sektoren Energie, Wärme und Verkehr. Ein Beispiel ist, die Abwärme aus Kühlung und industriellen Prozessen zu nutzen, wo immer möglich. Hier gibt es noch ein beträchtliches Potenzial. Ebenso ist es notwendig, dass auf der lokalen Ebene erneuerbare Energie gewonnen wird – soll heissen, dass Produktion und Verbrauch am selben Ort stattfinden. Ergänzend müssen Massnahmen zur Steigerung der Energieeffizienz weitergeführt werden.

Dr. Kristina Orehounig, Leiterin der Abteilung für urbane Energiesysteme an der Eidgenössische Materialprüfungs- und Forschungsanstalt (Empa).
Dr. Kristina Orehounig, Leiterin der Abteilung für urbane Energiesysteme an der Eidgenössische Materialprüfungs- und Forschungsanstalt (Empa).

Gibt es eine Produktionstechnologie, die zukünftig dominieren wird?

Es wird nicht eine Technologie geben, mit der die Klimaproblematik gelöst und der Ausstieg aus der heutigen Kernenergietechnologie geschafft werden kann, sondern viele verschiedene, wie wir sie bereits heute einsetzen. Die Wasserkraft wird sicherlich auch in Zukunft eine dominante Rolle spielen. Dasselbe gilt für die Solarenergie, deren Bedeutung laufend zunimmt. Einen untergeordneten, aber dennoch wichtigen Platz nehmen in der Schweiz auch Erdwärme, Biomasse oder Windenergie ein. Eine grosse Herausforderung ist es, dass erneuerbare Technologien zu unterschiedlichen Zeiten ihre Energiepotenziale haben, also nicht immer dann zur Verfügung stehen, wenn wir sie brauchen. Deshalb kann die Energiewende nur gelingen, wenn vermehrt Speicher- und Energieumwandlungstechnologien zusammen als System eingesetzt werden. Nur so können wir die Energielücke in den Wintermonaten schliessen. Konkret gilt es, die verschiedenen Energieträger und die Verbraucher miteinander zu vernetzen und in dieses System verschiedenste Speichertechnologien zu integrieren.

Was kann Ihr «Energy Hub Approach» zur Lösung dieser Herausforderungen beitragen?

Der Energy Hub Approach ist darauf ausgerichtet, die Energieflüsse in einem System – sei es ein Quartier oder eine ganze Stadt – optimal zu regeln sowie die Lastspitzen auszugleichen. Somit soll ein Hub dazu beitragen, dass in nicht allzu ferner Zukunft gewisse Gebäude, z.B. historische Bauten, zwar immer noch Energie konsumieren, aber viele andere Bauten energiepositiv sind und Energie liefern können. Soll heissen, dass sie auf die Bereitstellung von erneuerbarer Energie ausgelegt sind. Der erstrebte Ausgleich kann mittels Strom- oder auch mittels Wärmenetz stattfinden. Zusätzlich kommen kurzfristige Speicher in Form von Batterien zum Einsatz und auch langfristige Speicher, z.B. in Form von Erdwärmespeicher. Damit kann sich ein Quartier unter Berücksichtigung wirtschaftlicher Kriterien nicht vollständig, aber mehrheitlich selbst mit Energie versorgen.

Sie sprechen von Quartieren und Gebäuden. Verlagert sich die Produktion in die Städte?

Unsere Städte und Gebäudeparks eignen sich in idealer Weise zur Gewinnung von Solarenergie. Auch die Nutzung der Erdwärme mittels Erdwärmesonden ist relevant, wobei die Möglichkeiten für Bohrungen im urbanen Raum eingeschränkt sind. Dazu kommt die Abwärme von Kehrichtverbrennungs-, Industrieoder Klimaanlagen, die immer öfter in Wärmenetzverbünde eingespeist wird. Mindestens so wichtig ist die Rolle der Städte, wenn es um den Energieverbrauch geht. Der Anteil von rund einem Drittel von Haushalten am landesweiten Verbrauch verdeutlicht dies. Nicht zuletzt, da dort teilweise immer noch fossile Energieträger zum Einsatz kommen. Dass ein weiteres Drittel des Gesamtverbrauchs der Schweiz auf die Mobilität zurückgeht, zeigt die Grösse des Hebels, den unsere Städte haben. Hier ist es zentral, dass die Elektrifizierung der Mobilität vorangetrieben wird und möglichst erneuerbare Energiequellen zum Einsatz kommen. Auch das Demand-Side-Management muss ausgebaut werden, damit der Energieverbrauch zu Zeiten der Verfügbarkeit stattfindet und besser auf das jeweilige Energiepotenzial abgestimmt ist.

Unsere Städte eignen sich in idealer Weise für die Gewinnung von Solarenergie. Genauso wichtig ist die Rolle der Städte, wenn es um den Energieverbrauch geht.

Dr. Kristina Orehounig, Empa

Werden zukünftig auf den meisten Häusern Solaranlagen und Windräder stehen?

Wenn wir rasch auf erneuerbare Energien umstellen wollen, dann brauchen wir vor allem Dachflächen für die Solarproduktion. In den derzeitigen Szenarien wird davon ausgegangen, dass etwa ein Viertel der Dachflächen bis 2050 mit Photovoltaikanlagen ausgestattet werden muss. Zusätzlich werden auch alpine Solar- und Windkraftanlagen vonnöten sein. Es gibt zwar Lösungen für Kleininstallationen von Windrädern in urbanen Gebieten, eine grossflächige Verbreitung ist aber aufgrund des Lärms wie auch des Windpotenzials fraglich.

Haben Sie selbst eine Solaranlage auf dem Dach?

Beim Haus, in das wir gerade gezogen sind, gibt es eine Solaranlage auf dem Dach. Als Mieter nutzen wir die so gewonnene Energie aber nicht selbst, sondern diese wird direkt ins Netz eingespeist. Wir haben uns aber in ein Grossprojekt eingekauft, das von einem Energieversorger auf Schuldächern betrieben wird. Auf diese Weise können wir genügend Energie beziehen, um unseren Bedarf als Familie zu decken. Auch hier besteht die Problematik, dass der Solarstrom nicht immer verfügbar ist, insbesondere in den Abendstunden.



Autorin

Silvia Zuber
Silvia Zuber

Project Manager


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