Es ist ein sonniger Frühlingstag. Die runden flauschigen Cumulus-Wolken zieren den Himmel; in jeder könnte man ein Tier oder Menschen sehen. Ich besteige das Segelflugzeug. In der Luft hange ich mich von Wolke zu Wolke und lasse mich durch ihren Aufwind in die Höhe ziehen. Begleitet werde ich von Gleitschirmen und Greifvögeln, die mit mir kreisen. Um 16.00 Uhr spüre ich, dass die Luft ruhiger wird und mache mich auf Richtung Flugplatz. Plötzlich finde ich keinen Aufwind mehr, im Gegenteil, das Flugzeug sinkt und sinkt. Der grosse Zeiger des Höhenmessers unterschreitet die Marke von 800 m ü. M., es verbleiben mir noch 400 m bis zum Boden. Die Sinkgeschwindigkeit beträgt zwei Meter pro Sekunde, rechnerisch habe ich deshalb gerade noch eine Flugzeit von etwas mehr als drei Minuten. Es ist höchste Zeit, ein Aussenlandefeld zu suchen, eine gut 100 m lange Wiese, auf der ich sicher landen kann. In Reichweite erblicke ich ein geeignetes Feld. Im Endlandeflug fällt mir etwas auf, dass ich vorher nicht gesehen habe, es befindet sich noch vor dem Feld, schimmert im Abendlicht. Es ist eine Höchstspannungsleitung, rund 60 m hohe Masten liegen direkt vor mir. Für Umkehrkurve ist die Höhe zu gering. Das Prozedere für solche Fälle schreibt vor, dass ich die Leitung unterfliege, weil beim Überfliegen das Risiko besteht, dass ich es nicht über die Leiterseile schaffe. Ich drücke die Nase des Flugzeugs nach unten, der Boden kommt näher und die Geschwindigkeit steigt. Ich sehe durch die Glasscheibe die Leiterseile über meinen Kopf schweben, dann liegt die Wiese direkt vor mir. Ich fahre die Bremsklappen voll aus und setze sanft auf. Kurz vor dem Ende der Wiese kommt das Flugzeug zum Stehen. Geschafft!
Obiges ist mir zum Glück noch nie passiert in den 10 Jahren, in denen ich nun segelfliege. Aber darauf vorbereitet bin ich. Im Ereignisfall bleibt keine Zeit zum Denken. Als Pilotin oder Pilot muss man sich deshalb stehts schon im Voraus einen Plan B überlegen, falls etwas Unerwartetes passiert. Nur so folgt rechtzeitig die richtige Reaktion.
Höchstspannungsleitung als schlecht sichtbares Hindernis
Leider passiert es immer wieder, dass Pilotinnen und Piloten von Gleitschirmen, Helikopter oder Flugzeugen Höchstspannungsleitungen übersehen oder die Gefahr dieser unterschätzen. Die Masten sind schliesslich grün und tarnen sich gerade im Wald sehr gut. Die Leiterseile sind nur dann gut sichtbar, wenn sie das Sonnenlicht genau in die Richtung des Betrachters reflektieren, was für sehr kurze Zeit an einem Tag der Fall ist. Zudem wird eine möglichst an die Landschaft angepasste Leitungsführung gewählt, damit das Landschaftsbild durch die Leitung nicht negativ beeinflusst wird. In der Nähe von Flugplätzen und auf Durchflugsrouten tragen die Höchstspannungsleitungen auf dem Erdseil, dem obersten Seil, orange Flugwarnkugel. So sind die Leitungen für die Pilotinnen und Piloten besser sichtbar. Aber auch trotz dieser Massnahme ist es wichtig, dass die Pilotinnen und Piloten besonders nach Höchstspannungsleitungen und oberirdische Verteilnetzleitungen Ausschau halten, wenn sie in Bodennähe fliegen.
«Im Ereignisfall bleibt keine Zeit zum Denken. Als Pilotin oder Pilot muss man sich deshalb stehts schon im Voraus einen Plan B überlegen.»
Joshu Jullier
In Boden- und Hangnähe kann es gefährlich werden
Gleitschirmpilotinnen und -piloten sollten Höchstspannungsleitungen nicht in geringer Höhe überfliegen, weil zum Beispiel Talwinde oder fliegerische Probleme wie Einklapper zu raschem Höhenverlust führen können. Auch kann der Auswurf des Rettungsschirms mit Steuerunfähigkeit enden. Deshalb muss genug vertikaler Sicherheitsabstand zur Leitung eingehalten werden.
Auch für Helikopter sind Höchstspannungsleitungen eine Gefahr. Da Helikopter überall landen können, kann es passieren, dass sie bei der Landung oder dem Start einer Höchstspannungsleitung sehr nahekommen. Zudem fliegen Helikopter oft sehr tief, dann sind gerade Leitungen, die ein Tal queren, besonders gefährlich.
Was kann ich als Pilotin oder Pilot tun?
Vor dem Flug, speziell in unbekanntem Gebiet, sollte die Karte entlang der möglichen Flugrouten genau studiert werden. Auf der Segelflugkarte sind Höchstspannungsleitungen rot eingezeichnet. Die Leitungen können Pilotinnen und Piloten auch als Orientierungshilfe dienen. Auf der Luftfahrthinderniskarte von swisstopo und openstreetmap Karten sind Freileitungen ebenfalls eingezeichnet. Speziell im Gebirge oder bei Hangflügen sollte eine Route geplant werden, die so weit wie möglich von Höchstspannungsleitungen entfernt ist. Achtung: Neben den grossen Höchstspannungsmasten gibt es auch kleine Verteilnetzmasten. Und Seilbahnen sowie Transportseile sind übrigens oft gefährlicher, da diese sehr schlecht sichtbar sind. Über all diese Hindernisse muss man sich vor dem Flug ausführlich informieren und nur in gesundem Abstand dazu fliegen.
Während dem Flug kann der Pilot oder die Pilotin speziell nach Masten Ausschau halten. Diese sind viel besser sichtbar als Leiterseile. Der Luftraum in der Nähe von Höchstspannungsleitungen muss genau im Auge behalten werden. Durch vorausschauendes Fliegen mit genügend Abstand zu Höchstspannungsleitungen und anderen Hindernissen können kritische Situationen vermieden werden. Kunststücke oder Manöver sollten über Höchstspannungsleitungen vermieden werden. Gleitschirmpilotinnen und -piloten verzichten in niedriger Höhe auf das Thermikkreisen und den Abstieg über Höchstspannungsleitungen, da dadurch die Ausweichmöglichkeiten sehr beschränkt werden. Frühzeitig sucht die Pilotin oder der Pilot nach Landemöglichkeiten, um notfalls darauf auszuweichen können, wenn plötzlich ein Hindernis die Flugroute versperrt oder die Höhe nicht mehr ausreicht, um zum vorgesehenen Landeplatz zurückzukehren.
Doch was, wenn es auf die Wiese geht?
Egal ob Helikopter, Segelflugzeug, Gleitschirm, Deltasegler oder Heissluftballon, die Auswahl des Landefeldes ist entscheidend. Dabei sind folgende Punkte zu beachten:
- Ist das Landefeld gross genug?
- Lässt der Bewuchs eine sichere Landung zu?
- Gestattet die Geländeneigung eine sichere Landung?
- Sind keine Anflughindernisse wie Höchstspannungsleitungen, Verteilnetzleitungen, Seilbahnen oder Tiere im Weg?
Nur wenn die Pilotin oder der Pilot alle obigen Fragen mit «Ja» beantworten kann, ist das Feld für eine sichere Landung geeignet.
Schutz vor tödlicher Gefahr hat höchste Priorität
Für Swissgrid steht die Sicherheit von Mensch und Natur an oberster Stelle. Deshalb ist die Sensibilisierung der Pilotinnen und Piloten auf das Thema Höchstspannungsleitungen die beste präventive Massnahme, um Unfällen vorzubeugen. Es ist wichtig, dass sich Pilotinnen und Piloten der Gefahren der Höchstspannungsleitungen bewusst sind, denn durch sie fliesst Strom mit 1000facher Spannung gegenüber der Steckdose zu Hause. Bei einer Kollision besteht die Gefahr eines lebensbedrohlichen Stromschlags. Ein Stromschlag kann auch erfolgen, wenn das Leiterseil nicht berührt wird. Deshalb muss die Höchstspannungsleitung bei einem Vorfall sofort ausgeschaltet werden. Alarmieren Sie uns bitte über unsere Notrufnummer 0800 00 45 45.
An jedem Mast von Swissgrid ist unterhalb des Gefahrensignals ein Schild, auf dem die Notrufnummer, die Mastnummer und ein QR-Code enthalten ist. Bitte geben Sie bei einem Vorfall beim Anruf der Notrufnummer unbedingt die aufgedruckte Mastnummer an. So kann die betroffene Leitung umgehend ausgeschaltet werden. Über den QR-Code gelangt man zu Informationen über den Mast sowie zu wichtigen Verhaltensregeln in der Nähe einer Höchstspannungsleitung.