Netz

Der Fachkräftemangel – ein Problem fürs Stromnetz?

Sechster Beitrag der Blog-Serie «Unser Netz» zur strategischen Netzplanung bei Swissgrid

Autorin: Sandra Bläuer


Fürs Stromnetz der Zukunft braucht es noch mehr Mitarbeitende mit spezifischem Fachwissen. Doch wie finden die Netzbetreiber diese – angesichts des Fachkräftemangels? Fiona Hasler von der Stadtwerke-Allianz Swisspower und Marlene Eve von Swissgrid über die aktuelle Lage und die wichtigsten Massnahmen.

Im Gespräch

Fiona Hasler

Projektleiterin Employer Branding
Swisspower

Da in den kommenden Jahren viele erfahrene Fachkräfte pensioniert werden und zu wenig junge Mitarbeitende nachrücken, entsteht ein Vakuum.

Fiona Hasler, Swisspower

 
Alles spricht von Fachkräftemangel in der Schweiz. Wie gravierend ist die Situation bei den Verteilnetzbetreibern?

Fiona Hasler: Bei den technischen und handwerklichen Berufen haben sie derzeit Mühe, alle offenen Stellen zu besetzen. Meist gelingt es ihnen zwar, aber die Suche nach passenden Mitarbeitenden dauert oft deutlich länger als früher. Das ist deshalb gravierend, weil diese Berufe den grossen Teil aller Stellen ausmachen. Der demografische Wandel verschärft die Situation zusätzlich. Da in den kommenden Jahren viele erfahrene Fachkräfte pensioniert werden und zu wenig junge Mitarbeitende nachrücken, entsteht ein Vakuum.

Hat die Energiebranche in der Vergangenheit schlicht zu wenig in die Ausbildung technischer Fachkräfte investiert?

So generell lässt sich das nicht sagen. Der Fachkräftemangel in der Energiebranche hat mehrere Gründe: Erstens gelten handwerkliche Berufe als weniger attraktiv als akademische, auch was die Löhne betrifft. Zweitens bilden sich viele Mitarbeitende weiter, die bei einem Netzbetreiber die Lehre gemacht haben, und arbeiten danach möglicherweise in einem anderen Bereich. Drittens werden die Aufgaben der Netzbetreiber immer komplexer. Sie brauchen Mitarbeitende in neuen Berufsfeldern und mit ganz spezifischem Fachwissen. Diese Fachkräfte zu finden, ist besonders schwierig – zumal sich die Ausbildungen nicht so schnell ändern wie die Aufgaben.

Obwohl in der Schweiz seit Jahren ein regelrechter Solarboom zu beobachten ist, gibt es erst jetzt eine spezifische Ausbildung zur Solarinstallateurin oder zum Solarinstallateur.

Fiona Hasler, Swisspower

 
Wie meinen Sie das?

Der Wandel in der Energiebranche passiert derzeit so schnell wie nie zuvor. Aber Reformen bei bestehenden Ausbildungen und erst recht die Einführung neuer Ausbildungen brauchen viel Zeit. Folglich fehlen junge Fachkräfte, die von Anfang an auf die neuen Berufsbilder vorbereitet werden. Ein Beispiel: Obwohl in der Schweiz seit Jahren ein regelrechter Solarboom zu beobachten ist, gibt es erst jetzt eine spezifische Ausbildung zur Solarinstallateurin oder zum Solarinstallateur.

Apropos Solarboom: Durch die dezentrale Stromproduktion mit erneuerbaren Energien verändern sich auch die Aufgaben fürs Stromnetz. Wie wirkt sich das auf die Personalsituation im Netzbereich aus?

Ich befürchte, dass sie sich weiter verschärft, weil die Unternehmen noch mehr spezifisch ausgebildete Fachleute brauchen. Die Netzbetreiber sollten deshalb frühzeitig den Bedarf für ein sogenanntes Upskilling erkennen – also die bestehenden Mitarbeitenden systematisch weiterbilden, damit sie über die benötigten Qualifikationen für das Stromnetz der Zukunft verfügen.

Um neue Mitarbeitende für sich zu gewinnen, spielt das Image als Arbeitgeber eine wichtige Rolle. Wie werden die Netzbetreiber am Arbeitsmarkt wahrgenommen?

Ganz unterschiedlich. Das liegt daran, dass Regionalität in der Energiebranche eine viel grössere Rolle spielt als in anderen Branchen. Wenn Sie zum Beispiel Leute in Bern fragen, wie sie Energieunternehmen allgemein als Arbeitgeber wahrnehmen, wecken Sie kaum Bilder im Kopf der Personen. Fragen Sie sie aber nach dem städtischen Energieversorger Energie Wasser Bern als Unternehmen und Arbeitgeber, ist das Image viel klarer. Diese starke regionale Verankerung kommt den Netzbetreibern etwa bei der Suche nach Lernenden zugute. Sie bedeutet aber auch, dass sie sich selbst als Arbeitgeber positionieren müssen.

Worüber können sie sich positionieren?

Ganz klar über ihre Mission für eine nachhaltige Energiezukunft und die Sinnhaftigkeit ihrer Berufe. Die Botschaft lautet: «Wenn Sie bei uns arbeiten, bewirken Sie viel für das Klima und die Menschen ihn der Region.» Kaum eine andere Branche kann eine so einfache, klare und positive Aussage machen.

Als Arbeitgeber nur zu fordern, ist definitiv passé.

Fiona Hasler, Swisspower

 
Neue Mitarbeitende zu gewinnen, ist das eine. Doch wie lassen sie sich halten?

Als Arbeitgeber nur zu fordern und den Mitarbeitenden bei ihrer individuellen Bedürfnissen nicht entgegenzukommen, ist definitiv passé. Die Unternehmen und speziell ihre HR-Fachleute müssen also nah am Puls der Mitarbeitenden sein und ihre Bedürfnisse erkennen – etwa zur Balance von Arbeit und Freizeit, zu Weiterbildungen und zu internen Karrieremöglichkeiten.

Welches sind die grossen Hebel, um den Fachkräftemangel bei den Netzbetreibern zu entschärfen?

Der vielleicht grösste Hebel ist die öffentliche Wahrnehmung der Energieunternehmen als Arbeitgeber. Dafür sollten sowohl die einzelnen Unternehmen als auch die Branchenorganisationen Massnahmen umsetzen. Deshalb haben mehrere Swisspower-Stadtwerke eine Kooperation für das Employer Branding initiiert. Mit der schweizweiten Kampagne wollen wir der Bevölkerung zeigen, wie attraktiv Energieunternehmen als Arbeitgeber sind.


Im Gespräch

Marlene Eve
Marlene Eve

Talent Acquisition Manager
Swissgrid

Mit einem authentischen Bild von uns ziehen wir mehr Fachkräfte an.

Marlene Eve

 
Wie stark ist Swissgrid vom Fachkräftemangel betroffen? Hat er Auswirkungen auf die Versorgungssicherheit in der Schweiz?

Marlene Eve: Für Swissgrid kann ich Entwarnung geben. Der Fachkräftemangel gefährdet die Versorgungssicherheit nicht. Natürlich brauchen auch wir in gewissen Fachbereichen manchmal etwas länger, um passende Mitarbeitende zu finden – vor allem in der IT und in den technischen Berufen im Netzbereich. Aber insgesamt gelingt es uns gut, offene Stellen zu besetzen.

Ist der Fachkräftemangel also weniger dramatisch als oft in den Medien beschrieben?

Er ist vor allem kein neues Phänomen und in manchen Unternehmen auch etwas hausgemacht.

Wie meinen Sie das?

Erstens haben viele Unternehmen bei Vakanzen genaue und hohe Anforderungen an die ideale Person – und listen sie in der Ausschreibung auch auf. Da erstaunt es nicht, wenn nur wenige Bewerbungen eingehen. Bei Swissgrid fragen wir uns deshalb immer: Welche Fähigkeiten der Kandidierenden sind für diese Stelle wirklich zwingend erforderlich und welche können wir durch Weiterbildung selbst entwickeln? Zweitens haben sich einige Arbeitgeber zu spät auf die Pensionierungswelle bei der Babyboomer-Generation vorbereitet. Nun fällt es ihnen schwer, bei der Pensionierung von Schlüsselpersonen die Nachfolge zu sichern.

Wie hat sich Swissgrid darauf vorbereitet?

Durch sogenanntes «Strategic Recruiting». Wir schauen laufend, welche Know-how-Tragerinnen und -Träger in ein oder zwei Jahren in Pension gehen. So bleibt genügend Zeit, eine passende Nachfolge zu finden und möglichst viel Fachwissen zu sichern.

Neue Mitarbeitende zu finden, sehen wir schon lange nicht mehr bloss als administrativen Prozess.

Marlene Eve

 
Welche Massnahmen hat Swissgrid bereits umgesetzt, um auch künftig die benötigten Fachkräfte zu finden?

Dazu gehört, uns von der «Talent Acquisition» zur «Talent Attraction» zu bewegen. Das bedeutet: Neue Mitarbeitende zu finden, sehen wir schon lange nicht mehr bloss als administrativen Prozess. Vielmehr wollen wir uns mit verschiedenen Massnahmen als attraktive Arbeitgeberin positionieren und so Fachkräfte anziehen.

Wie gelingt Ihnen das?

Indem wir ein authentisches Bild von uns vermitteln: von unserer Kultur und unseren Werten – davon, was uns wirklich ausmacht. Dazu lassen wir zum Beispiel Mitarbeitende in Videos auf unserer Website von ihrer Arbeit erzählen. Zudem sind wir in den sozialen Medien sehr aktiv. Ich selbst poste regelmässig auf meinem LinkedIn-Profil. Denn wenn Mitarbeitende über ihre Projekte und Swissgrid als Unternehmen sprechen, wirkt das auf interessierte Fachkräfte vertrauenswürdiger. Das ist übrigens auch der Grund, weshalb wir stark auf Mitarbeitende-werben-Mitarbeitende-Programme setzen und diese immer besser funktionieren.

Welche weiteren Massnahmen planen Sie?

Wir wollen Fachkräfte mit interessanten Profilen direkt über die sozialen Businessnetzwerke ansprechen. Darüber hinaus verfolgen wir die Idee, noch mehr Kurzvideos zu produzieren und auf Kanälen wie TikTok zu publizieren, um die Talente von morgen zu erreichen.

Sprechen Sie die jungen Fachkräfte auch auf anderem Wege an?

Ja. Wir arbeiten eng mit Hochschulen zusammen. Dort müssen wir als attraktive Arbeitgeberin bekannt sein, da rund 80 Prozent unserer Mitarbeitenden Hochschulabsolventinnen und -absolventen sind. Zudem haben wir ein Graduate Program lanciert und extra die Position des «Young Talents Specialist» geschaffen, um das Potenzial von Lernenden, Praktikantinnen und Werkstudenten systematischer nutzen zu können.

Müssen technische Fachleute am Arbeitsmarkt anders angesprochen werden als andere Berufsgruppen?

Viele von ihnen wünschen sich ein anspruchsvolles, herausforderndes, modernes Umfeld, in dem sie ihr Fachwissen gezielt einsetzen und etwas bewegen können. Genau dieses Umfeld finden sie bei Swissgrid – und das betonen wir natürlich in unserem Auftritt als Arbeitgeberin.

Sehr viele Arbeitnehmende wünschen sich heute eine Aufgabe, die wirklich Sinn macht.

Marlene Eve

 
Wie wichtig ist das Argument der Sinnhaftigkeit? Die Mitarbeitenden von Swissgid leisten ja einen wesentlichen Beitrag zur Versorgungssicherheit in der Schweiz.

Das ist ein zentrales Argument und einer der Hauptgründe, warum sich Fachkräfte bei uns bewerben. Schätzungsweise jede zweite Person erwähnt es im Bewerbungsgespräch. Das zeigt: Sehr viele Arbeitnehmende wünschen sich heute eine Aufgabe, die wirklich Sinn macht.


Autorin

Sandra Bläuer
Sandra Bläuer

Communication Manager


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