Das Schweizer Stromsystem befindet sich im grössten Umbruch seiner erfolgreichen Geschichte: Die Stromproduktion wird durch neue dezentrale Energiequellen und Kraftwerke sowie die wachsende Stromproduktion aus erneuerbaren Energien immer volatiler. Dies stellt neue Anforderungen an das Stromnetz und ist eine Herausforderung für den sicheren Netzbetrieb. Zudem erreicht ein Grossteil der Leitungen im Übertragungsnetz der Schweiz in den nächsten Jahrzehnten das Ende ihrer technischen Lebensdauer und muss deshalb erneuert werden. Damit das Übertragungsnetz zukünftigen Bedürfnissen gerecht wird, muss es langfristig weiterentwickelt werden.
Während in tieferen Netzebenen Erdverlegungen von Stromleitungen den Standard bilden und Freileitungen die Ausnahme sind, ist es im Übertragungsnetz genau umgekehrt. Der Energietransport auf der Höchstspannungsebene (380 kV und 220 kV) funktioniert heute weitestgehend über oberirdische Freileitungen. Sie machen 99 Prozent des Schweizer Übertragungsnetzes aus. Swissgrid hat in den vergangenen Jahren im Übertragungsnetz Erdkabelleitungen mit einer Gesamtlänge von über 40 Kilometern realisiert. Der Einsatz von Erdkabeln im Höchstspannungsnetz ist relativ neu und folglich verhältnismässig wenig erprobt. Bei der Projektierung, dem Bau sowie dem Betrieb und der Instandhaltung haben beide Technologien Vor- und Nachteile. Swissgrid ist technologieoffen und prüft bei jedem Netzprojekt sowohl Freileitungs- als auch Verkabelungsvarianten. Dabei sucht Swissgrid stets nach den optimalen Lösungen im Spannungsfeld der vier Pfeiler Wirtschaftlichkeit, Technik, Raumentwicklung und Umwelt.
Aus technischer und betrieblicher Sicht sollten Verkabelungen weiterhin nur punktuell zum Einsatz kommen.
Freileitung oder Erdverkabelung? Der Bundesrat entscheidet
Ob ein Leitungsabschnitt als Erdkabel oder als Freileitung realisiert wird, entscheidet der Bundesrat im Bewilligungsverfahren. Der Entscheid im Sachplan Übertragungsleitungen (SÜL) ist das Ergebnis einer umfassenden Interessenabwägung. Eine wichtige Rolle spielt dabei die Empfehlung der vom Bundesamt für Energie (BFE) eingesetzten Begleitgruppe. Sie hat die Aufgabe, die Diskussion zu versachlichen und objektiv nachvollziehbare Entscheide zu ermöglichen. Als Werkzeug steht dieser ein spezielles Bewertungsschema mit den vier Pfeilern Wirtschaftlichkeit, Technik, Raumentwicklung und Umwelt zur Verfügung.
Gebündelt durch den Berg – Airolo – Mettlen (Gotthardleitung)
Wo möglich und zielführend bündelt Swissgrid die Erdkabel mit anderen Infrastrukturvorhaben.
Der Bau der zweiten Röhre des Gotthardstrassentunnels bis 2029 bietet Swissgrid ein Bündel von Chancen. Die Kombination einer Höchstspannungsleitung mit einem Nationalstrassentunnel hat europaweit Pioniercharakter. Mit dem technisch anspruchsvollen Projekt kann Swissgrid wertvolle Erfahrungen sammeln. Ein weiteres Plus ist die Entlastung der Landschaft am Gotthard durch den Rückbau von 23 Kilometern Freileitung und 70 Masten.
Instandhaltung und Betrieb
Die Fehlerhäufigkeit ist bei Freileitungen zwar höher als bei Erdkabeln, da sie Natureinflüssen (z.B. Blitzeinschlag, Eisbehang, umstürzende Bäume) stärker ausgesetzt sind. Während Freileitungen innerhalb weniger Stunden wieder verfügbar sind, kann es bei Erdkabeln jedoch Wochen bis Monate dauern. Die Freileitungen des Schweizer Übertragungsnetzes verfügen über automatische Wiedereinschaltsysteme. Wenn also eine plötzliche Störung auftritt, wie z.B. bei einem Blitzeinschlag, wird die Leitung automatisch aus- und nach einigen Sekunden oder nach etwa einer Minute wieder eingeschaltet. Bei Abschnitten mit Verkabelung ist eine automatische Wiedereinschaltung nicht möglich. Denn die Störung eines Erdkabels ist meist mit einer Beschädigung verbunden. Die Unterschiede bei den (Kabel-)Technologien liegen beim Isoliermaterial, mit dem die Leiter umhüllt sind, bei der Wartung und den Kosten. Die Lebensdauer einer Freileitung beträgt rund 80 Jahre, die einer Kabelleitung etwa 40 Jahre.
Lange Kabel, grosse Herausforderungen
Erdkabel wirken sich aufgrund ihrer physikalischen Eigenschaften auf die Stabilität des gesamten Übertragungsnetzes aus. Die technischen Herausforderungen nehmen zu, je mehr Leitungsabschnitte des Übertragungsnetzes in den Boden verlegt werden. Denn beide Technologien besitzen unterschiedliche elektrische Eigenschaften, die Auswirkungen auf die Stabilität und Verfügbarkeit des Übertragungsnetzes haben.
Swissgrid muss dafür sorgen, dass die Spannung im gesamten Übertragungsnetz nie zu hoch wird. Die zu bestimmten Zeiten beobachteten Spannungswerte sind bereits sehr hoch und nahe an den zulässigen Grenzwerten für das Material. Nimmt der Anteil an Erdverkabelungen im Übertragungsnetz zu, muss Swissgrid sogenannte Kompensationsanlagen bauen, welche die Spannung reduzieren. Kompensationsanlagen sind – je nach Leistung – ungefähr so gross wie ein Lastwagen. Sie brauchen allerdings nicht nur viel Platz, sondern sind kostenintensiv, benötigen im Betrieb zusätzlich Energie und verursachen Lärm. Die von den Kabeln erzeugte Blindleistung verursacht eine Erhöhung der Spannung im Netz und eine zusätzliche Belastung der Leiter. Aus diesem Grund muss die Blindleistung mittels Anschlusses von sogenannten Drosseln an den Kabelenden kompensiert werden. Diese mächtigen Bauelemente fallen bei der Verlustbilanz stark ins Gewicht und sie vergrössern die Dimensionen der Übergangsbauwerke substanziell.
Bei der Beurteilung der Vor- und Nachteile von Erdverkabelungen ist nicht nur der jeweilige Leitungsabschnitt, sondern das Netz als Gesamtsystem im Auge zu behalten.
Elektrische Verluste
Beim Stromtransport geht immer elektrische Energie verloren. Die Wirkleistungsverluste hängen von der Übertragungsleistung ab. Bei Freileitungen sind sie höher als bei Erdkabeln. Rechnet man bei den Erdkabelleitungen die Verluste durch die Kompensation der Blindleistung dazu, sind die Verluste bei beiden Übertragungstechnologien ungefähr gleich gross.
Blindleistung ist wie der Schaum, der das Glas füllt und weniger Bier Platz lässt. Physikalisch unterscheidet man die kapazitive und die induktive Blindleistung. Sie kompensieren sich und heben sich idealerweise ganz auf. Swissgrid versucht, ihre Leitungen möglichst nahe an diesem Punkt der sogenannten «natürlichen Leistung» zu betreiben. Bei Erdkabeln ist dies nicht möglich, da sie sich zu stark erhitzen würden. Lange Erdkabel reduzieren deshalb entweder die effektive Leistung einer Leitung (Wirkleistung) oder sie machen Anlagen zur Kompensation der Blindleistung nötig. Diese Herausforderung verstärkt sich proportional zur Länge einer Erdkabelleitung.
Kostenvergleich
Die Baukosten einer Höchstspannungsleitung können sich von Fall zu Fall stark unterscheiden – je nach Topografie, Baugrund, potenziellen Naturgefahren und der Technologie, welche gewählt wird. Als Faustregel gilt, dass im Übertragungsnetz ein Kilometer Erdkabel zwischen zwei und zehnmal teurer ist als ein Kilometer Freileitung. Bei der Beurteilung der Wirtschaftlichkeit berücksichtigt Swissgrid nicht nur die Bau-, sondern auch die Lebenszykluskosten der verschiedenen Leitungsvarianten.
Bei der Berechnung geht Swissgrid von einer Lebensdauer der Leitung von 80 Jahren aus. Verschiedene Komponenten müssen jedoch früher ersetzt werden. Bei in den Boden verlegten Leitungen sind vor allem die Erdkabel selbst ein wichtiger Kostenfaktor: Erdkabel können aufgrund ihrer technischen Lebenserwartung nur halb so lange betrieben werden wie Freileitungen und müssen bereits nach ungefähr 40 Jahre komplett ersetzt werden.
Für den Bau der Teilverkabelung auf einer Länge von 1,3 Kilometern mit zwei Übergangsbauwerken fallen Kosten von rund 20,4 Millionen Franken an. Das Projekt Beznau – Birr zeigt auf, dass für eine Teilverkabelung im Schweizer Mittelland mit Kosten von rund 10 – 15 Millionen Franken pro Kilometer zu rechnen ist (Übergangsbauwerke, normaler Bauuntergrund, Unterquerung von bestehenden Infrastrukturen). Die Kosten für die Erdkabelstrecke der Höchstspannungsleitung Beznau – Birr sind über den gesamten Lebenszyklus betrachtet rund 6-mal höher als für eine Freileitung.
Sichtbare Elemente der Erdverkabelung
Der Schutz des Landschaftsbilds ist ein grosser Pluspunkt der Erdverkabelung. Der Grossteil der Leitungsinfrastruktur steckt – unsichtbar – im Boden. Doch auch Erdkabel hinterlassen Spuren in der Landschaft, zum Beispiel in Form von Schneisen im Wald, Zufahrtsstrassen sowie Kompensationsanlagen zur Reduktion der Spannung und Übergangsbauwerken, welche die Freileitung mit dem Erdkabel verbinden. Spezielle Schachtbauten dienen der Kontrolle und der Reparatur der Kabelverbindungen.
Übergangsbauwerke
Um die Erdkabel mit den Freileitungen zu verbinden, braucht es Übergangsbauwerke. Deren markantestes Merkmal sind die Abspanngerüste, die rund 25 Meter in den Himmel ragen. Sie nehmen die Leitungen vom letzten Mast auf und verbinden sie mit den Erdkabeln. Übergangsbauwerke benötigen ungefähr die Fläche eines Eishockeyfelds. Swissgrid achtet bei der Planung einer Teilverkabelung darauf, sie bestmöglich in die Landschaft einzubetten.
Muffen- und Bridenschächte
In den Boden verlegte Höchstspannungskabel bestehen aus zahlreichen Schichten. Das fällt ins Gewicht. Die Kabel lassen sich deshalb nur in ungefähr 1-Kilometer langen Stücken in die Kabelrohrblöcke einziehen. Die Kabelabschnitte werden mit speziellen Verbindungsstücken, sogenannten Muffen, zusammengefügt. Das ist technisch anspruchsvoll, weshalb Muffen relativ störungsanfällig sind – und ständig zugänglich sein müssen. Für Reparatur- und Montagearbeiten werden deshalb spezielle Muffenschächte gebaut. Ebenfalls spezielle Schächte braucht es für die Briden Klemmen, die verhindern, dass die Erdkabel in Hanglage verrutschen können.
Kompensationsanlagen
Erdkabel erhöhen die Spannung im Netz stärker als Freileitungen. Swissgrid muss dafür sorgen, dass die Spannung im gesamten Übertragungsnetz nicht zu hoch wird. Dazu kann sie Kraftwerke anweisen, die Spannung zu senken, oder sogenannte Kompensationsanlagen bauen, welche die Spannung reduzieren. Diese werden, wenn möglich, beim Übergangsbauwerk oder bei einem Unterwerk, unter Umständen aber auch im freien Gelände platziert. Kompensationsanlagen sind – je nach Leistung – ungefähr so gross wie ein Lastwagen.
Grösstmöglicher Schutz für Mensch und Natur
Bei Bauvorhaben setzt Swissgrid alles daran, negative Auswirkungen auf Mensch, Umwelt und Landschaftsbild zu vermeiden oder zu minimieren. Den gesetzlichen Rahmen dazu bilden die strengen Schweizer Grenzwerte für Lärm sowie für elektrische und magnetische Felder. Swissgrid setzt aber auch Massnahmen um, die über behördliche Auflagen hinausgehen. So fördert sie beispielsweise mit einer Reihe von Massnahmen aktiv die Biodiversität.
Auf dem Abschnitt Beznau – Birr hat Swissgrid im Raum Bözberg/Riniken (AG) zum ersten Mal ein längeres Teilstück einer 380-Kilovolt-Höchstspannungsleitung in den Boden verlegt. Seit Mai 2020 fliesst Strom über das Erdkabel. Die Erdverkabelung macht sichtbar, welche Auswirkungen die Verkabelung eines Abschnitts einer 380-kV-Höchstspannungsleitung auf Landschaftsbild und Umwelt hat und welche Herausforderungen Bau, Betrieb und Instandhaltung mit sich bringen. Rund zwei Jahre nach der Inbetriebnahme des Erdkabels hat die Eidg. Forschungsanstalt für Wald, Schnee und Landschaft WSL im Auftrag von Swissgrid untersucht, wie die Regenwurmpopulationen und die Bodenqualität im Erdreich beeinflusst werden.
Landwirtschaft
Unter einer Freileitung ist der Boden beispielsweise ohne grössere Einschränkungen bebaubar, aber sie beeinträchtigt das Landschaftsbild durch ihre Sichtbarkeit. Der Boden über dem Kabelrohrblock kann wieder landwirtschaftlich genutzt und begrünt werden. Da Wurzeln das Erdkabel gefährden, muss das Trassee allerdings von hochstämmigen oder tiefwurzelnden Bäumen freigehalten werden.
Ausholzungen und Schneisen bei Freileitungen
Der Bau von Freileitungen in Waldgebieten erfordert Ausholzungen, zum Beispiel für Zufahrtsstrassen, Depots oder den Bau der Mastfundamente. Ein Teil dieser Flächen kann nach Abschluss der Bauarbeiten wieder aufgeforstet werden. Direkt unter den Freileitungen dürfen nur niedrigstämmige Bäume gepflanzt werden.
Ausholzungen und Schneisen bei Erdkabeln
Durchqueren Erdkabel Waldgebiete, sind Ausholzungen nötig, um Platz für den Bau des Kabelgrabens zu schaffen. Ein Teil dieser Flächen kann nach Abschluss der Bauarbeiten wieder aufgeforstet werden. Da Wurzeln Schäden verursachen könnten, muss über den Kabelrohrblöcken aber dauerhaft eine Schneise frei gelassen werden (sogenannte Freihaltezone).
Elektrische und magnetische Felder
Was wir umgangssprachlich «elektromagnetische Strahlung» nennen, sind genau genommen keine Strahlen, sondern elektrische und magnetische Felder. Sie entstehen überall dort, wo Strom produziert, transportiert und genutzt wird. Die elektromagnetischen Felder von Freileitungen und Erdkabeln unterscheiden sich vor allem in ihrer räumlichen Ausdehnung. Die Schweizer Grenzwerte, die für beide gelten, gehören zu den strengsten weltweit.
Das magnetische Feld ist direkt unter einer Freileitung kleiner als direkt über einem Erdkabel. Dafür ist bei Erdkabeln die Ausdehnung des Magnetfeldes kleiner, weil sich aufgrund der Anordnung der Kabel deren Felder teilweise kompensieren. Der Anlagegrenzwert von Erdkabeln wird ab 6 bis 8 Metern seitlichen Abstands eingehalten. Bei einer Freileitung braucht es dazu 60 bis 80 Meter.
Freileitung oder Erdverkabelung – die Ökobilanz
Die Ökobilanzierung hat zum Ziel, die Umweltauswirkungen der einzelnen Stromübertragungs-Technologien zu quantifizieren und dadurch vergleichbar zu machen. In die Ökobilanz fliessen beispielsweise die verwendeten Materialien und Komponenten inklusive deren Herstellung, das Bauverfahren oder die Effizienz im Betrieb ein. Berücksichtigt werden ausschliesslich ökologischen Aspekte, nicht aber technische, ökonomische oder soziale Kriterien.
Freileitungen auf der Höchstspannungsebene 380 Kilovolt (kV) haben tiefere Umweltauswirkungen als die Erdverkabelung. Diese schneidet wegen dem erhöhten Bedarf an Metall- und Elektroteilen weniger gut ab, die mit hohen Umweltbelastungen behaftet sind. 380-kV-Leitungen schneiden grundsätzlich besser ab als 220-kV-Leitungen. Entscheidend für das Ergebnis ist – neben dem konkreten Bauverfahren, das zur Anwendung kommt – die Höhe der Übertragungsverluste und die übertragbare Strommenge je Höchstspannungsebene, also die Systemeffizienz.
Fazit
Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass die Erdverkabelung im Höchstspannungsnetz zahlreiche Herausforderungen mit sich bringt. Aus technischer und betrieblicher Sicht sollte der Anteil an Erdkabeln im Übertragungsnetz tief gehalten werden. In Zukunft ist aus einer gesamtheitlichen Perspektive abzuwägen, an welchen Stellen im Übertragungsnetz eine Erdverkabelung die optimale Umsetzungsvariante darstellt. Dies kann beispielsweise in grossräumigen, stark urbanisierten Gebieten der Fall sein oder in Regionen, wo Bündelungsoptionen mit anderen linearen Infrastrukturen (Autobahnen, Strassen-/Eisenbahntunnel etc.) bestehen. So wird bspw. im neuen Gotthardstrassentunnel zum ersten Mal eine Höchstspannungsleitung mit einem nationalen Strassentunnel gebündelt.
Auch wenn Freileitungen und Verkabelungen jeweils Vor- und Nachteile aufweisen, überwiegen bei Erdkabeln im Höchstspannungsnetz die Nachteile.