Solarpanels in den Bergen

Netz

Mehr Regelenergie wegen Solarboom?

Warum Prognosen für den Netzbetrieb immer wichtiger werden

Autor: Noël Graber


Im Interview

Bastian Schwark
Bastian Schwark

Head of Market Operations

Bastian Schwark, Head Market Operations bei Swissgrid, erklärt, warum die Nachfrage nach Regelenergie gestiegen ist, welche Rolle der Solarausbau dabei spielt und wie präzise Prognosen und innovative Marktdesigns helfen können, Kosten zu senken.

Bastian, wofür braucht es überhaupt Regelenergie?

Im Stromsystem müssen Produktion und Verbrauch zu jedem Zeitpunkt ausgeglichen sein. Wenn mehr produziert als verbraucht wird, steigt die Netzfrequenz. Das Gleiche gilt umgekehrt. Um das Gleichgewicht zu halten, muss Swissgrid als Übertragungsnetzbetreiberin Regelenergie einsetzen, damit die Frequenz und damit das Netz stabil bleiben. Verantwortlich für die Planung von Produktion und Verbrauch sind die so genannten Bilanzgruppen. Diese Unternehmen planen die Ein- und Ausspeisung in und aus dem Übertragungsnetz und erstellen dafür Fahrpläne. Wenn es nun z. B. durch veraltete Wetterprognosen oder Kraftwerksausfälle zu Abweichungen kommt, ist die Netzstabilität gefährdet. In solchen Fällen sorgt Swissgrid mit Regelenergie für Stabilität. Hierfür werden flexible Kraftwerke oder Verbraucher unter Vertrag genommen. Es gibt verschiedene Arten von Regelenergie, abhängig davon, wie schnell sie verfügbar sein muss: Primär-, Sekundär- und Tertiärregelenergie.

Wenn es nun z. B. durch veraltete Wetterprognosen oder Kraftwerksausfälle zu Abweichungen kommt, ist die Netzstabilität gefährdet. In solchen Fällen sorgt Swissgrid mit Regelenergie für Stabilität.

Bastian Schwark

Ist der Solarausbau in der Schweiz schuld an der steigenden Nachfrage nach teurer Regelenergie?

In der Schweiz haben wir in den letzten Monaten an bestimmten Tagen grosse Unausgeglichenheiten festgestellt. Hier ist allerdings nicht der Solarausbau an sich das Problem, sondern die Prognoseunschärfe bei den Produzenten. Ein Blick ins Ausland zeigt, dass ein stabiler Netzbetrieb auch mit viel Solarenergie möglich ist. Voraussetzung hierfür sind zuverlässige und aktuelle Prognosen sowie eine gute, idealerweise echtzeitnahe Datenkommunikation zwischen allen Beteiligten. Solaranlagen speisen nicht direkt in das Übertragungsnetz, sondern in die unteren Netzebenen ein. Meist haben die Verteilnetzbetreiber keine Echtzeitdaten der Photovoltaikanlagen, so dass sie deren Produktion anhand von Wetterdaten und Prognosen schätzen müssen. Wenn z.B. über ein langes Wochenende die Prognosen nicht täglich aktualisiert werden, kann die Abweichung zwischen prognostizierter und tatsächlicher Produktion beträchtlich sein. Wenn zudem viele Akteure in der Schweiz den gleichen Fehler machen, summiert sich die Unausgeglichenheit im Netz. In einem solchen Fall muss Swissgrid hohe Mengen an Regelenergie einsetzen, was die Kosten weiter treibt. Denn im Strommarkt gilt das Prinzip der Merit Order – mit der nachgefragten Menge steigen auch die Preise.

Was ist das PICASSO-System?

PICASSO ist die europäische Plattform für den Markt von Sekundärregelenergie. Marktteilnehmer können hier Angebote für Sekundärregelenergie abgeben. Ein europaweiter Markt für Sekundärregelenergie ist sinnvoll, weil er grenzüberschreitend die Systemsicherheit stärkt und die Preise senkt. Nicht alle Länder haben geleichzeitig hohe Unausgeglichenheiten in ihren Netzen. Swissgrid ist zwar technisch bereit, darf aber aufgrund des fehlenden Stromabkommens nicht grenzüberschreitend an diesem Markt teilnehmen. Die Folge ist, dass die Schweiz bei grossen Regelenergieabrufen nicht auf Angebote der Nachbarländer zurückgreifen kann. Somit steht man in der Schweiz bei hohem Regelenergiebedarf einem begrenzten Angebot gegenüber.

Swissgrid ist zwar technisch bereit, darf aber aufgrund des fehlenden Stromabkommens nicht grenzüberschreitend an diesem Markt teilnehmen.

Bastian Schwark

Hat das PICASSO-System die Kosten für Sekundärregelenergie in der Schweiz erhöht?

Das PICASSO-System brachte eine gebotsbasierte Beschaffung für die Sekundärregelenergie, entsprechend dem europäischen Standard. Das hat den Vorteil, dass zusätzliche Liquidität auf dem Sekundärregelenergiemarkt verfügbar wird. Die Einführung des PICASSO-Systems wurde von Swissgrid eng mit der Aufsichtsbehörde ElCom und dem Bundesamt für Energie abgestimmt. Hauptursache für die steigenden Preise ist der situativ sehr hohe Bedarf an Regelenergie. Wenn eine hohe Nachfrage auf ein begrenztes Angebot trifft, führt das zu Preisverwerfungen. Die ElCom hat das untersucht und Gegenmassnahmen eingeleitet. Hilfreich wäre sicherlich ein grösseres Angebot. Das würde mit einem Beitritt zu den europäischen Plattformen erreicht.

Könnte Swissgrid nicht einfach mehr Regelenergie bereitstellen?

Nein. Das würde weder die Preise senken, noch wäre es zukunftstauglich. Die installierte Kapazität von Photovoltaik wird sich in den kommenden Jahrzehnten vervielfachen. Es gäbe gar nicht genug Kraftwerke, welche Swissgrid für die Regelenergie unter Vertrag nehmen könnte. In Deutschland hat man gesehen, dass trotz massivem Ausbau der Erneuerbaren Energien, weniger Regelenergie eingesetzt wird. Dort haben nicht nur verbesserte Prognosen geholfen, sondern auch ein kurzfristig sehr liquider Markt. Das heutige Beschaffungsregime in der Schweiz ist so ausgelegt, dass wir selbst grössere Unausgeglichenheiten beherrschen können, wie zum Beispiel der plötzliche Ausfall des grössten Schweizer Kraftwerks.

Was tun Swissgrid und die Branche, um die Unausgeglichenheit im Netz zu verringern?

Unser kurzfristiges Ziel ist eine bessere Datengrundlage. Genauere und aktuellere Prognosen helfen nicht nur den Bilanzgruppen, sondern auch Swissgrid, das Netz stabiler und den Betrieb wirtschaftlicher zu machen. Dafür hat die Branche eine gemeinsame Arbeitsgruppe gegründet. Zudem implementiert Swissgrid weitere Massnahmen ab 2026, so dass sich Bilanzgruppen zukünftig gegenseitig helfen können, das System auszugleichen, und davon finanziell zu profitieren. Dadurch würde weniger Regelenergie benötigt und die Gesamtkosten könnten gleichzeitig gesenkt werden.


Autor

Noël Graber
Noël Graber

Head of External Communication


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