Airolo – Lavorgo Netzprojekt All'Acqua – Maggia – Magadino
Mit der Bahn reisen, das Elektroauto laden oder auch Zuhause das Licht einschalten: Was uns heute selbstverständlich erscheint, beruht auf einer Reihe komplexer Prozesse, die sich von der Erzeugung bis zum Verbrauch der Energie erstrecken. Um Strom in unsere Häuser zu bringen, ist ein feinmaschiges Stromnetz erforderlich, das an ein dichtes Netz aus Strassen und Autobahnen erinnert.
Der Bau dieser Strassen für den Strom ist jedoch alles andere als einfach und lässt häufig bei den betroffenen Anwohnerinnen und Anwohnern die Emotionen hochkochen. Auch wenn niemand den Nutzen und die Notwendigkeit anzweifelt, hadert die Bevölkerung oft mit dem Bau von Infrastrukturen wie Autobahnen, Bahnstrecken oder Stromtrassen in ihrer nächsten Umgebung. Diese Debatte dreht sich meist darum, wo diese für die Schweiz so wichtigen Verbindungen gebaut werden sollen. Man hat, gerade in einem so dicht besiedelten Gebiet wie der Schweiz den Eindruck, dass es immer schwieriger wird, Raum für neue Infrastrukturen zu finden. Gibt es für dieses Problem eine Lösung? Swissgrid findet ja. Sie lautet zum Beispiel Dialog und Synergien. Genau hierauf beruht die 2013 vom Kanton ins Leben gerufene Tessiner Initiative Studio Generale, die in einem einzigartigen Ansatz Swissgrid, SBB und Azienda Elettrica Ticinese (AET) an einen Tisch gebracht hat, um zukünftige Stromleitungsprojekte in bestmöglicher Abstimmung mit der Raumplanung zu realisieren. In einer mehrteiligen Blogserie blicken wir gemeinsam mit den beteiligten Partnern auf die Zusammenarbeit zurück und wagen einen Ausblick auf die nächsten Phasen. Im ersten Teil erzählt Philippe Meuli, Grid Program Manager, wieso er von Anfang an von diesem Projekt überzeugt war.
Philippe Meuli, im Jahr 2013 hat Swissgrid das Schweizer Übertragungsnetz übernommen. Wie kam der Kontakt mit dem Kanton zustande?
Der Kanton Tessin, Swissgrid, SBB und AET arbeiten seit Ende 2013 gemeinsam an der Erarbeitung eines Konzepts für die Neuordnung der Stromleitungen auf kantonaler Ebene.
Die Zusammenarbeit begann 2012 im Rahmen der Konsultation zum Korridor Airolo – Lavorgo. Der Kanton äusserte den Wunsch, diesen Korridor in einer Gesamtvision des Alto Ticino zu bewerten. Begründet wurde dieser Antrag insbesondere damit, dass Swissgrid ab 2013 für Planung, Ausbau, Betrieb und Finanzierung des gesamten Schweizer Höchstspannungsnetzes verantwortlich sein wird.
Was ist konkret das Studio Generale? Was sind die Vorteile und Herausforderungen für Swissgrid?
Im Einvernehmen mit dem Bundesamt für Energie (BFE) haben der Kanton Tessin, AET, SBB und Swissgrid eine Absichtserklärung unterzeichnet, mit der sie eine allgemeine Studie über die Hoch- und Höchstspannungsnetze im Tessin in die Wege leiteten. Ziel ist es, eine umfassende und langfristige Vision auf kantonaler Ebene zu erstellen und die Ziele der Sanierung und des Ausbaus der Stromleitungen mit denen der Raumplanung zu koordinieren.
Die Ziele und Herausforderungen von Swissgrid für das Höchstspannungsnetz waren und sind
- die Versorgungssicherheit südlich der Alpen auch in Zukunft zu gewährleisten
- den Transport von durch Wasserkraft erzeugten elektrischer Energie zu sichern
- Erhöhung der Transportkapazität zwischen der Schweiz und Italien
- die Nutzung der vorhandenen Infrastruktur zu optimieren
- die Anzahl und Länge der neuen Leitungen begrenzen
- die notwendigen neuen Anlagen rechtzeitig zu errichten
- die Kosten eindämmen
Wie beurteilen Sie die Zusammenarbeit mit den anderen Partnern (AET, SBB und dem Kanton)?
Die Zusammenarbeit ist sehr gut. Wir erarbeiten gemeinsam, unter Berücksichtigung der Interessen aller Beteiligten, Vorschläge zur Bestimmung der zukünftigen Korridore für die elektrische Infrastruktur. Das sind die elektrischen Höchstspannungsleitungen von Swissgrid, die Verteilnetzleitungen der AET und die Bahnstromleitungen der SBB in einer Gruppo Operativo (Arbeitsgruppe).
Wo immer möglich wird die Bündelung der elektrischen Infrastrukturen mit anderen linearen Infrastrukturen, wie Strasse und Schienen geprüft und berücksichtigt.
Die erarbeiteten Vorschläge werden durch die Direzione Strategica (Steuerungsgremium) geprüft und freigegeben. Die Ergebnisse werden vom Kanton im Piano Direttore (Richtplan) festgeschrieben und von den Beteiligten Organisationen in ihrer mittel- bis langfristigen Planung für die Netzerneuerung berücksichtigt. Somit werden die raumplanerischen Interessen des Kantons mit den Sanierungs-, Ausbau- und Erneuerungsbedürfnissen der Netzbetreiber in Einklang gebracht – für eine gemeinsame Zukunft.
Was waren die bisherigen Erfolge der Initiative?
Die ersten Resultate der Initiative sind bereits zu sehen. So hat die 2015 abgeschlossene erste Phase, in der Leventina und das Maggiatal untersucht wurden, ein eindrucksvolles Ergebnis ermöglicht: die Erneuerung und Optimierung der Höchstspannungsleitung durch das Maggiatal, die Verstärkung der Höchstspannungsleitung in der Leventina und dadurch schlussendlich den Rückbau von 60 km Höchstspannungsleitungen.
Das Projekt wird vor allem der Landschaft zugutekommen
Erhofft man sich von dieser Studie eine Beschleunigung des Bewilligungsverfahrens?
Der Vorteil der Studie ist, dass die Planung langfristig ausgelegt und im Piano Direttore (Richtplan) des Kantons Ticino festgeschrieben ist. Die Tatsache, dass die Ergebnisse des Studio Generale auch mit den zuständigen Bundesbehörden abgesprochen wurden und weiterhin werden, kann sicherlich die kommenden Sachplanungen und Plangenehmigungsverfahren unterstützen.
Ein weiteres konkretes Beispiel ist das Projekt All’Acqua – Magadino. Swissgrid muss hier die veralteten Übertragungsleitungen austauschen. Dank der Studio Generale konnte eine Lösung gefunden werden, die den Abbau von Höchstspannungsleitungen auf einer Länge von über 60 km zwischen Maggiatal und Leventina ermöglicht, die infolge des neuen Projekts nicht mehr benötigt werden. Ausserdem werden durch die höhere Übertragungskapazität die Einschränkungen für die Erzeugung der Wasserkraftwerke des Maggiatals wegfallen. Neben den wirtschaftlichen Vorteilen wird das Projekt aber vor allem der Landschaft zugutekommen, da einige der derzeitigen Leitungen durch Ansiedlungen oder Schutzgebiete nationaler Bedeutung wie den Campolungo verlaufen.
Es darf auch davon ausgegangen werden, dass vorgesehene zukünftige Projekte wesentlich rascher im Sachplan festgesetzt werden können, da die notwendigen Grundlagen bereits mit dem Kanton, den anderen Netzbetreibern abgestimmt wurden und im Piano Direttore festgeschrieben sind.
Kann diese Zusammenarbeit als Beispiel dienen und in anderen Kantonen übernommen werden?
Ich würde mir wünschen, dass alle Kantone dem Beispiel des Kantons Tessin folgen und sich gemeinsam mit anderen Infrastrukturbetreibern Überlegungen zur Bündelung linearer Infrastruktur machen. Die Ergebnisse würden anschliessend im kantonalen Richtplan festgeschrieben werden. So ergibt sich für die betroffenen Infrastrukturbetreiber eine erhöhte Planungssicherheit für zukünftige Projekte. Die Bedürfnisse der Infrastrukturbetreiber lassen sich mit den raumplanerischen Interessen von Bund und Kantonen vereinen.
Nächste Etappen
Nach der ersten positiven Erfahrung mit der Etappe 1 wird seit 2017 an der zweiten Planungsstufe der Studie gearbeitet. Diese stellt eine noch grössere Herausforderung dar, weil das zu untersuchende Gebiet sehr gross ist und von der Bassa Leventina über das Bleniotal, Riviera, die Magadinebene bis nach Manno reicht. Die Resultate werden im Laufe von 2021 veröffentlicht.
Im zweiten Teil der Blogserie wird Paolo Poggiati Leiter der Abteilung Raumentwicklung den Standpunkt des Kantons vorstellen.