Einsteigen, bitte! Im Herbst 2022 hat das Schweizer Parlament den sogenannten Solarexpress ins Rollen gebracht. Die Idee dahinter: Um die drohende Winterstromlücke zu bekämpfen, sollen rasch grosse Photovoltaikanlagen in den Bergen entstehen. Als Anreiz dienen hohe Investitionsbeiträge.
Was dabei zuweilen vergessen geht: Solche Grossanlagen bedeuten auch eine Herausforderung für die Betreiber des Stromnetzes. Denn sie müssen sich um den jeweiligen Netzanschluss kümmern. Und dieser kann durchaus ein langwieriges, aufwendiges Netzprojekt auslösen – gerade im Berggebiet.
Kurze Tage, viel Nebel, wenig Sonnenlicht: Im Winter liefern die Solaranlagen im Mittelland vergleichsweise geringe Mengen Strom. Photovoltaikanlagen in den Bergen hingegen nutzen den reichlichen Sonnenschein über der Nebeldecke sowie die Reflektionen vom Schnee und produzieren fleissig Energie.
Darum hat das Parlament beschlossen, alpine Solaranlagen stark zu fördern. Neu übernimmt der Bund bis zu 60 Prozent der Investitionskosten einer solchen Anlage – sofern sie mindestens 10 GWh Energie pro Jahr liefert und bis Ende 2025 ersten Strom einspeist. Diese Offensive des Bundes wird auch Solarexpress genannt.
Leistungsstarke Netzanschlüsse
Natürlich wollen nun viele Energieunternehmen und sonstige Investoren auf den fahrenden Expresszug aufspringen. Zahlreiche Grossprojekte sind bereits in den Medien bekannt geworden, weitere dürften in den kommenden Wochen und Monaten vorgestellt werden. Bei solchen Vorhaben ist die eigentliche Anlage – Solarmodule, Montagesystem, Verkabelung, Elektronik etc. – nur ein Teil des Ganzen. Genauso wichtig ist der Netzanschluss: Ohne diesen lässt sich die Energie nicht abtransportieren.
Eine alpine Solaranlage erfordert daher von Beginn weg das Zusammenspiel von Produktions- und Netzfachleuten. Wer ein Solarprojekt in den Bergen plant, sollte möglichst früh den lokalen Netzbetreiber einbeziehen. Denn wegen der hohen Produktionsleistung der Anlage ist auch ein entsprechend leistungsstarker Netzanschluss nötig – für den Netzbetreiber keine Bagatelle.
«Bei Solar-Projekten ist der Netzanschluss wichtig: Ohne diesen lässt sich die Energie nicht abtransportieren.»
Simon Nay
Detaillierte Abklärungen nötig
Das bestätigt Simon Nay. Er betreut Netzprojekte bei Repower. Das Energieunternehmen mit Sitz in Poschiavo betreibt das Stromnetz in weiten Teilen des Kantons Graubünden – also in jenem Berggebiet, das schon bald verschiedene alpine Solaranlagen beheimaten soll. Einerseits will Repower selbst solche Anlagen realisieren. Andererseits rechnet das Unternehmen in seinem Netzgebiet mit mehreren Projekten anderer Investoren.
Wenn eine konkrete Projektidee bekannt wird, geht Repower von sich aus auf die Personen dahinter zu: «Wir führen erste Gespräche mit ihnen und verschaffen uns ein Bild von der geplanten alpinen Photovoltaikanlage», sagt Simon Nay. «Danach klären wir detailliert ab, ob und wie sich der Netzanschluss realisieren lässt.»
Netzebene beeinflusst den Aufwand
Ein entscheidender Punkt ist dabei, auf welcher Netzebene sich die Solaranlage anschliessen lässt. Das Schweizer Stromnetz verfügt über sieben Netzebenen mit unterschiedlicher Spannung. Je höher die Spannung einer Leitung ausfällt, desto mehr Leistung lässt sich darüber transportieren. Bei Photovoltaikanlagen bestimmt die Produktionsleistung darüber, auf welcher Netzebene sie angeschlossen werden.
Bei alpinen Grossanlagen ist es laut Simon Nay von Repower meist die Netzebene 3. Hier fliesst der Strom mit einer hohen Spannung zwischen 36 und 150 kV durch die Leitungen. Entsprechend aufwendig gestaltet sich der Netzanschluss. «Gerade in unseren Talschaften wie der Surselva, dem Engadin oder dem Prättigau ist die Leistung unserer Netze beschränkt», so Simon Nay. «Wenn nun eine Solaranlage mit hoher Leistung angeschlossen wird, erfordert dies Verstärkungen und Ausbauten bei unseren Leitungen, Unterwerken und Transformatoren.»
Bei einem solchen Projekt kommt auch Swissgrid ins Spiel. Denn damit die grossen Mengen Solarstrom vom Hochspannungsnetz von Repower (Netzebene 3) ins Höchstspannungsnetz von Swissgrid (Netzebene 1) fliessen können, muss der Strom mit Transformatoren auf eine Spannung von mindestens 220 kV gebracht werden. Durch die alpinen Solaranlagen kann eine Verstärkung von Transformatoren nötig werden. Sie erfolgt in enger Abstimmung mit Swissgrid.
«Der Anschluss einer Solaranlage mit hoher Leistung erfordert Verstärkungen und Ausbauten bei Leitungen, Unterwerken und Transformatoren.»
Simon Nay
Netzanschluss in zwei Schritten realisieren
Wegen der kurzen Fristen beim Solarexpress geht Repower bei Anfragen zu Netzanschlüssen in zwei Schritten vor. Zuerst zeigen die Netzfachleute den Initiantinnen und Initianten des Solarprojekts auf, wie sich Solarmodule mit zehn Prozent der späteren Gesamtleistung ans Netz anschliessen lassen. Denn die zehn Prozent müssen bis 2025 realisiert sein, damit die Anlage den Investitionsbeitrag des Bundes erhält.
«Dieser erste Schritt ist meist mit geringem Aufwand machbar, weil der Netzanschluss übers Mittelspannungsnetz (Netzebene 5) erfolgen kann», sagt Netzspezialist Simon Nay. «Anspruchsvoller wird der zweite Schritt – der Vollausbau des Netzanschlusses für die gesamte Leistung der alpinen Solaranlage. Denn dazu braucht es je nach Anlagengrösse den Wechsel aufs Hochspannungsnetz (Netzebene 3).»
Herausforderungen im Berggebiet
Zusätzlich zum üblichen, meist langwierigen Bewilligungsverfahren bei Netzprojekten fürs Hochspannungsnetz ergeben sich im Berggebiet weitere Herausforderungen, etwa bei der Logistik. Denn oft lassen sich die vorhandenen Bergstrassen nicht mit schweren Lastwagen und Baumaschinen befahren. Sie müssen zuerst ausgebaut und verstärkt werden.
Ausserdem ist die Bausaison in der Höhe kurz: «Im Oberengadin zum Beispiel würde eine solche alpine Grossanlage wohl auf 1700 Metern oder höher realisiert werden», schätzt Simon Nay. «Da ist vor April oder Mai nicht an Bauarbeiten zu denken. Und während der Hochsaison im Sommer sind aus Rücksicht auf den Tourismus mancherorts ebenfalls keine Grabarbeiten möglich. Das verlängert die Projektdauer weiter.»
Höherer Zeitdruck
Dass grosse Netzprojekte viel Zeit erfordern, ist nicht neu. Zugenommen hat aber der Zeitdruck durch die Bauherrschaft grosser Produktionsanlagen. Dies beobachtet auch Marc Vogel, Senior Specialist Market & System Design von Swissgrid: «Bei Wasserkraftwerken dauerte der Bau einst viele Jahre. So blieb genügend Zeit, um parallel den Netzanschluss zu planen und zu realisieren. Heute sollen Gaskraftwerke im Mittelland und Solaranlagen in den Bergen möglichst schnell gebaut werden und ans Netz gehen. Angesichts des aufwendigen Verfahrens braucht der Netzanschluss dann oft länger als von der Bauherrschaft erwartet.»
Selbstverständlich tun Repower und die übrigen Schweizer Netzbetreiber alles, um grosse Solaranlagen rasch ans Stromnetz anzuschliessen. Doch einen Expresszug mit Abkürzung können sie dafür nicht nehmen.
«Die Schweizer Netzbetreiber tun alles, um grosse Solaranlagen rasch ans Stromnetz anzuschliessen. Doch einen Expresszug mit Abkürzung können sie dafür nicht nehmen.»
Simon Nay